Washington .

Eine Stunde lang sitzen sie zusammen und reden. Draußen in der Kälte warten die Journalisten, der Auftrieb ist groß, an die 40 Medienleute. Dann erscheint James Mattis, um Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen (CDU) zu verabschieden. Er ist deutlicher älter als sie, aber nicht viel größer, eigentlich ein unscheinbarer Mann. Sie teilen das Amt, aber nicht die Erfahrungen: Hier die Generalistin, dort der Soldat, sie nur in der Politik kampferprobt, der frühere Vier-Sterne-General auch auf dem Schlachtfeld.

Mattis ist ausgesucht freundlich. „In meiner früheren Rolle“, setzt er an, habe er oft die Bundeswehr beobachten können, er wisse ihren Beitrag zu schätzen. Er würdigt die deutsch-amerikanische Zusammenarbeit, die bisher noch jeden Test, jede Herausforderung bestanden habe. „Wir haben viele gemeinsame Interessen“, beteuert der Amerikaner. Es ist das, was sich die Ministerin erhofft hatte. Von der Leyen erklärt, die erste Priorität habe der Kampf gegen das Terrornetzwerk Islamischer Staat (IS). Sie wisse aber auch, dass das Bündnis vor großen Herausforderungen stehe und dass die Nato gestärkt werden müsse. Sie wählt die Vorwärtsverteidigung – wohl wissend, dass die Amerikaner unter ihrem neuen Präsidenten Donald Trump von den Europäern mehr Anstrengungen denn je erwarten. „Das ist eine faire Forderung“, sagt von der Leyen noch auf den Stufen zum Pentagon. Sie und Mattis vereinbaren einen regelmäßigen strategischen Dialog.

Klartext ist Mattis lieber als Befindlichkeiten

Von der Leyen ist Mattis’ erster Gast aus Europa. Sie hatte mit ihm vor zehn Tagen erstmals telefoniert. Nächste Woche sehen sie sich mehrmals wieder, erst auf einem Nato-Treffen und dann in München auf der Sicherheitskonferenz. Sie hat viel über ihn gehört. Sein exzellenter militärischer Ruf eilt ihm voraus. Nun will sie ein Gefühl dafür bekommen, woran sie bei Mattis ist. Sie ist extra dafür in der Nacht auf Freitag in die US-Hauptstadt gereist – und noch am selben Tag zurück, um pünktlich zur Bundespräsidentenwahl wieder in Berlin zu sein. Sie fliegt hin mit einem positiven Vorurteil über Mattis und zurück mit dem Gefühl, dass nach dem Machtwechsel in den USA nicht alles aus den Fugen geraten ist.

Den grauhaarigen 66 Jahre alten Mann mit dem akkuraten Seitenscheitel könnte man sich gut vor einem Hörsaal einer Militärakademie vorstellen, leichter jedenfalls als den „Mad Dog“, der er war, den verrückten Hund – ein Spitzname, der aus seiner früheren Zeit als Truppenführer in Afghanistan und im Irak stammt. Wilde Zeiten. In einer Podiumsdiskussion erklärte er, es mache geradezu Spaß, Taliban zu töten. Mattis liebt Klartext – der ist ihm allemal wichtiger als Befindlichkeiten. „Bei den Marines“, sagte er einmal, „wird niemand dafür bezahlt, eine Midlife-Crisis zu haben.“

Wichtiger ist für Europäer, dass er zeitweise höchste Positionen in der Nato innegehabt hat. Er lernte das Bündnis kennen und schätzen; es ist Teil seiner Sozialisation im Lauf einer fast 40-jährigen Laufbahn. Der als kantig, aber nicht als kompromisslos geltende Militärstratege hat aus eigener Anschauung erfahren, dass sich „der Beitrag der Europäer für die Nato nicht ausschließlich in Geldbeträgen bemessen lässt“, wie ein Experte der Denkfabrik Cato dieser Zeitung sagte.

Gäbe es die Nato nicht, man müsste sie erfinden, hat Mattis bei seiner Anhörung im Senat gesagt. Auf der Suche nach Allianzen, ohne die im 21. Jahrhundert keine Nation sicher sei, würden die Vereinigten Staaten immer „zuerst in Europa beginnen“, so Mattis. Dem Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg und seinem britischen Amtskollegen Michael Fallon versicherte er Amerikas „unerschütterliche“ Verbundenheit.

Solche Sätzen werden von den Partnern mit Erleichterung aufgenommen und bestärken von der Leyen in der Hoffnung, dass die Nato vielleicht neu vermessen – selbstredend mit einem höheren europäischen Beitrag –, aber nicht auf den Kopf gestellt wird. Trump hatte Zweifel daran aufkommen lassen, ob die USA das Verteidigungsbündnis weiter als Anker ihrer Sicherheitspolitik betrachten. „Obsolet“ sei die Nato, nicht fit genug, um den islamistischen Terror zu bekämpfen. Außerdem machten sich zu viele Mitglieder finanziell einen schlanken Fuß. Inzwischen hat Trump das „obsolet“ aus seinem Vokabular ebenso gestrichen wie sein offensives Eintreten für Foltermethoden bei Verhören von Terrorverdächtigen. Dahinter steht in beiden Fälle die Überzeugungsarbeit des neuen Verteidigungsministers.

Für die Soldaten war der langjährige Truppenführer schon immer der Inbegriff eines Kümmerers. Aber auch im Kongress schlägt dem Pentagon-Chef durch die Bank Anerkennung entgegen. Charakter. Führungskraft. Intelligenz. Erfahrung. Einsicht. Urteilsvermögen. Das sind die Kernbegriffe, die Demokraten wie Republikaner mit Mattis verbinden. Er ist der heimliche Superstar der Regierung. Es ist offensichtlich, dass er für Militärs und Politiker dies- und jenseits des Atlantiks nicht zuletzt eine Projektionsfläche ist: Er soll die gröbsten Ausschläge des Präsidenten auffangen, dämpfen, ausgleichen. Mattis hat seinen eigenen Kopf und sich mehrfach mit kritischen Äußerungen zu Russland und Iran profiliert. So misstraut er den Verrenkungen, die Wladimir Putin macht, um sich die Gunst von Trump zu erwerben. Und er hält Teheran für „die schwerste Gefahr für Stabilität im Nahen Osten“. Mehr noch: Er nennt den Iran den „größten staatlichen Sponsor von Terrorismus“. Auf beiden Feldern liegt er damit nicht klar auf einer Linie mit seinem Chef, der sich mit Moskau wie dem Mullah-Regime abseits aller Rhetorik nennenswerte wirtschaftliche Kooperationen erhofft. Mattis wirkt wie ein Kontrastprogramm zu Trump, hier eine Präsidentschaft wie aus einer Reality-Show, dort ein ruhiger, viel belesener Mann, der sich Zeit seines Lebens mit Krieg und Kriegsführung auch in philosophischen und historischen Dimensionen auseinandergesetzt hat, und ist Mitautor eines Standardwerks über die Bekämpfung von Aufständischen. Von Trump bekam er den Auftrag, eine neue Strategie zur Bekämpfung des IS zu entwerfen.

Von der Leyen erlebt einen abwägenden, fast introvertierten Mann, der den internationalen Part der Bundeswehr kennt und zu würdigen weiß. Sie hat einen Partner, mit dem sie reden kann. Aber sie nicht weiß, wie Mattis sich einfügen wird, zwischen Weißem Haus, Geheimdiensten, Parlament und nicht zuletzt im Verhältnis zu Trumps Sicherheitsberater Michael Flynn. Auf wen hört der Präsident?