München.

Horst Seehofer hat einen leicht spöttischen Zug um den linken Mundwinkel. Angela Merkels Miene ist ein geschlossenes Buch, vielleicht sieht so ihr Genießerblick aus. Jedenfalls erklärt der CSU-Chef gerade in München, warum sie auch die Kanzlerkandidatin seiner Partei ist: weil es Deutschland gut geht, es eine Insel der Stabilität ist, wegen Europa. Überhaupt: „Wir haben eine vorzügliche Kanzlerin.“ Sagt Seehofer.

München, 6. Februar, 13.30 Uhr: das Ende des Streits von CDU und CSU über die Flüchtlingspolitik. Und das, obwohl der Konflikt über eine Obergrenze „nicht zugekleistert“ (Merkel) wird, die CSU weiter darauf beharrt, freilich so mild wie schon lange nicht mehr. Einmal bemerkt Seehofer beschwichtigend, das habe man oft in der Politik: dass unterschiedliche Instrumente das gleiche Ziel gewährleisteten. Auch habe sich die Lage an der Grenze deutlich verbessert. Nur noch 12.000 Menschen kämen jeden Monat, „deutlich unter der Obergrenze“ (200.000). Den Zwischenruf kann er sich nicht verkneifen.

Ein Sieg Merkels wäre eine „Startrampe“ für die CSU

Merkel ist nur bedingt zu Heuchelei bereit. Auf die Frage, wie tief die Verletzungen der letzten Monate gewesen seien, antwortet sie: Sie habe vor ihrer Kandidatur diese Zeit Revue passieren lassen und sei zum Ergebnis gekommen, „der Blick in die Zukunft lohnt sich“. Nicht zurückschauen – das ist ihre Art der öffentlichen Bewältigung. Sie genießt ihren gemeinsamen Auftritt mit Seehofer, wohl wissend, dass Gemeinsamkeiten „ein hohes Gut“ sind. Auch für die CSU. Für die ist die Bundestagswahl auch die „Startrampe für unsere Landtagswahl“ im Jahr 2018.

Am Vorabend hatten die Führungen beider Parteien stundenlang beraten, den Zeitplan überzogen, noch nach Mitternacht zusammengesessen, zum Schluss beim Grillabend an zwei großen Tischen, und zwar bunt gemischt, CSUler und CDU-Leute. „Mir hat es Spaß gemacht“, beteuert Seehofer anderntags. Was am Montag dann gilt – atmosphärisch wie für den Bundestagswahlkampf: „Wir besinnen uns auf uns.“

Und eben nicht auf Martin Schulz, den SPD-Kanzlerkandidaten, der bei dem zweitägigen Treffen zwar nicht auf der Tagesordnung stand, den viele aber im Kopf hatten, wie einer der Teilnehmer dieser Zeitung sagte: „Schulz ist so dominant, dass wir jetzt in die Puschen kommen müssen.“ Seehofer und Merkel nehmen den Namen des bisherigen Europa-Politikers nur auf Nachfrage in den Mund. Dabei steigen die Umfragewerte der SPD seit Schulz’ Nominierung zum Kanzlerkandidaten unaufhörlich – und haben am Tag des Unionsgipfels erstmals seit Jahren die der CDU/CSU übertroffen.

Dass Merkel die gemeinsame Kandidatin wird, stand seit einer Woche fest. Nach München ist es beschlossene Sache. Es ist dieselbe Frau, der Seehofer eine „Herrschaft des Unrechts“ vorgeworfen hat, deren Regierung er monatelang verklagen wollte. Schon in den vergangenen Monaten hatte sich der CSU-Chef merklich zurückgehalten. Seehofer selbst will nicht nach Berlin. Auch das stand mal zur Diskussion; den größten Teil seines Berufslebens war er Bundespolitiker. Inzwischen ist er im Herbst einer Karriere, die er im Freistaat als Ministerpräsident ausklingen lassen will, womöglich über die Landtagswahl 2018 hinaus.

Der Gegner steht fest. Für die CSU ist es Rot-Rot-Grün, für die CDU zwar auch, aber sie spricht von der SPD als Hauptkonkurrenten. Das sind mehr als Nuancen. Merkel kann sich vorstellen, mit den Grünen zu regieren – in ihrem Umfeld gibt es viele Anhänger dieser Machtkonstellation –, Seehofer tut sich schwerer. Lieber spricht er darüber, von der Union enttäuschte Wähler „zurückzugewinnen“. Gemeint ist die rechte Konkurrenz von der AfD.

Rot-Rot-Grün ist auch der Griff, um Schulz auszuhebeln. Im Grunde ist seine Machtperspektive auch sein bislang einziger Angriffspunkt. In der Union hoffen sie, dass der Spitzen-Sozi in den nächsten Wochen mehr Farbe bekennt, sich stärker positioniert und auf die eine oder andere Mine tritt. Anders als Merkel ist der Herausforderer ziemlich freihändig in den sozialen Netzwerken unterwegs, die gelten als Minenfeld. Man twittert und postet sich schnell um Kopf und Kragen.

Im Juli wollen CDU und CSU ein gemeinsames Wahlprogramm vorlegen, so spät, weil man „immer nah an der Aktualität sein muss“, sagt Seehofer. In der CDU arbeiten Fachgruppen längst daran. Die Partei wird ihre Mitglieder zu einem Entwurf befragen. Das ist auch Mittel zum Zweck, um sie auf Betriebstemperatur zu bringen – auf Wahlkampfmodus.

Über die Bedeutung der drei Landtagswahlen im Frühjahr gehen die Meinungen auseinander. Dass sie die Stimmung beeinflussen werden, steht außer Frage. Aber es wird daran erinnert, dass das Wahljahr 2013 mit einer Niederlage in Niedersachsen eingeleitet worden ist. Mit David McAllister wurde ein CDU-Ministerpräsident, ja Hoffnungsträger, abgewählt – ein halbes Jahr später erzielte Merkel dann ein richtig gutes Wahlergebnis.

Die CSU wird ihre Aufstellung am 6. Mai festlegen. Ein offenes Geheimnis ist, dass Bundesverkehrsminister Alexander Dobrindt künftig die CSU-Landesgruppe im Bundestag anführen soll. Er ist schon heute Seehofers Strippenzieher in Berlin. Zum Beispiel hat er inoffiziell bei Kanzleramtschef Peter Altmaier – Merkels Vertrautem – sondiert, wie man mit der „Obergrenze“ umgeht. Es ist die Reizvokabel schlechthin. Die vorläufige Antwort: Sie bleibt laut Seehofer auf der „Agenda“, kommt in den „Bayernplan“ (Extra­programm der CSU), aber von Interview zu Interview werden die Antworten des Vorsitzenden dazu immer schmallippiger.

Dobrindt gehörtdie Zukunft in der CSU

Ob Dobrindt auch Spitzenkandidat wird, ist offen und hängt davon ab, wie Seehofer sein Erbe regeln will (oder kann). Sein ganzes Streben zielt darauf ab, den weiteren Aufstieg von Finanzminister Markus Söder zu verhindern. Formal bleibt Seehofer bis zum regulären CSU-Parteitag im November im Amt. Aber am liebsten würde er es schon vorher abgeben, vorzugsweise an Innenminister Joachim Herrmann und unter der Maßgabe, dass er nach Berlin geht. In diesem Fall wäre Herrmann der geborene Spitzenkandidat und nicht Dobrindt.

Hermann ist über 60. Nicht ihm, Dobrindt gehört die Zukunft. Söder ist aber eine starke Figur, medial präsent, einer der schärfsten Kritiker der Kanzlerin. Er könnte die Spaßbremse abgeben.