Berlin. Sicherheitsbehörde stellte Überwachung des Islamisten frühzeitig ein und überprüfte Hinweis aus Marokko nicht

Der Druck auf die Berliner Polizei im Fall Anis Amri wächst. Die Polizisten hatten die Videoüberwachung des späteren Attentäters vorzeitig beendet: bereits im Juni – drei Monate bevor die Staatsanwaltschaft das Ende der Überwachung angeordnet habe, wie der Sender RBB berichtet. Zur gemeinsamen Chronologie der Ereignisse von Bund und Ländern teilte Berlin den Partnerbehörden später nur mit, dass man zum 15. Juni 2016 die „Operativmaßnahmen im bisherigen Umfang nicht gewährleisten“ könne. Die Berliner Polizei rechtfertigte sich, sie habe „keine relevanten Hinweise“ auf die Vorbereitung einer gravierenden Straftat belegen können.

Nachdem das Verwaltungsgericht Berlin den Polizeipräsidenten auf eine Klage des Senders dazu verpflichtet hatte, lieferte die Behörde jetzt die Details nach. Demnach wurde Amri zwischen Februar und Juni 2016 an 20 Tagen beim Betreten oder Verlassen der als Islamisten-Treffpunkt bekannten Fussilet-Moschee in Berlin-Moabit durch eine Observationskamera beobachtet. Nach dem 15. Juni wurde die Auswertung beendet.

Auch hinter den Kulissen wird der Berliner Behörde mangelnde Informationsbereitschaft vorgeworfen. Allein Nordrhein-Westfalen hatte nach den Informationen dieser Redaktion 20 Nachfragen zu den Auskünften, unter anderem auch die Frage nach „Details zur Reduzierung“ der Observierung im Juni und nach den „Konsequenzen“.

Zum 18. Februar 2016 wollten die NRW-Behörden wissen, „in welchem Zeitraum wurde observiert und mit welcher Intensität“, am 18. August wird vermerkt, „bitte festgestellte Geodaten-Auswertung der noch bis zum 21. September laufenden Telefonüberwachung einfügen“. Zu beiden Fragen enthält die Chronologie, die das Innenministerium veröffentlichte, jedoch keine Antworten.

Erst nach dem Anschlag fiel einiges auf

Eine Gelegenheit, Amri möglicherweise vor dem Attentat zu fassen, verpassten die Berliner Polizisten nach dem 13. Oktober 2016. In einem Schreiben des marokkanischen Nachrichtendienstes, dessen Inhalt dem Abendblatt bekannt ist, übermittelten die Marokkaner den Namen des Berliner Mitbewohners von Amri. Die Adresse in Berlin war dem LKA aus einer Observation bekannt. Ob Amri sich in der Wohnung aufhielt, überprüften die Beamte dennoch nicht. Dabei wäre die Information interessant gewesen. Denn den Behörden lagen zu diesem Zeitpunkt zwar keine konkreten Hinweise vor, dass Amri einen Anschlag begehen könnte. Der Tunesier war aber immer noch als Gefährder eingestuft – und sein Aufenthaltsort war den veröffentlichten Informationen zufolge bis zu dem Hinweis aus Marokko unbekannt.

Wie unbemerkt sich Amri noch bis kurz vor dem Attentat in Berlin bewegen konnte, zeigt auch ein interner Vermerk des BKA zu dem am Mittwoch nach Tunesien abgeschobenen Kontaktmann Amris, dem Islamisten Bilel A., auf. Dort heißt es: Die beiden seien noch am 6. Dezember 2016, also nicht einmal zwei Wochen vor dem Anschlag, gemeinsam im Bereich der Flüchtlingsunterkunft Motardstraße in Spandau „festgestellt“ worden. Dies fiel dem BKA durch Ermittlungen im Fall Amri auf – allerdings erst nach dem Anschlag in Berlin.