Washington.

Zu Beginn seiner zweitägigen USA-Reise übt sich Außenminister Sigmar Gabriel in einer Disziplin, in der er wenig Erfahrung hat: Er sendet versöhnliche Signale aus. „Wir wollen zeigen, dass wir an der transatlantischen Zusammenarbeit zwischen Amerika und Deutschland sowie zwischen Amerika und Europa festhalten wollen“, sagt Sigmar Gabriel.

Der Außenminister, schwarzer Mantel und rote Krawatte, steht vor den Säulen des Capitols in Washington und redet mit der Presse. Gerade hat er den einflussreichen Chef des Auswärtigen Ausschusses im US-Senat, den Republikaner Bob Corker, getroffen. Gabriel spricht von der „ausgestreckten Hand“ der Deutschen und der Europäer, auch wenn es mal Meinungsverschiedenheiten und Konflikte gebe. Eine überzuckerte Rhetorik Richtung Trump-Land, die aufhorchen lässt.

Es ist der erste USA-Trip eines Bundesministers nach der US-Präsidentschaftswahl am 8. November. Bei den Begegnungen mit Vize Mike Pence und Außenminister Rex Tillerson will Gabriel testen, ob und wie die transatlantische Partnerschaft reanimiert werden kann. Vor den Treffen wurden die Erwartungen in der deutschen Delegation jedoch heruntergedimmt. Es sei eine Kennenlern-Visite, hieß es. Es gehe um die Schaffung eines bilateralen Arbeitsklimas. Und natürlich um Themen wie eine starke EU, die Nato sowie Freihandel. Allesamt Felder, auf denen US-Präsident Donald Trump in den vergangenen Wochen alte Gewissheiten durch seine „America First“-Parolen zertrümmert hatte.

Man hofft, dass Trump aufdie moderaten Kräfte hört

Nach Donald Trumps Antrittsrede am 20. Januar hatte Gabriel noch gegen die „schlimme Radikalisierung“ Amerikas und die „hoch nationalistischen Töne“ des Chefs im Weißen Haus gewettert. Doch das war der alte Gabriel. Der SPD-Chef, Vizekanzler und Wirtschaftsminister, der sich einen Spaß daraus gemacht hatte, zuzuspitzen und gelegentlich auch Porzellan zu zerschlagen. Der neue Gabriel kommt in der Wortwahl gemäßigt daher. Er ist in die Rolle des Außenministers geschlüpft, die er nun bereits eine Woche ausfüllt.

Gabriels Metamorphose hat wohl zwei Gründe. Zum einen liegt die Messlatte hoch: Sein Vorgänger Frank-Walter Steinmeier (SPD) war ein Verbal-Akrobat vor dem Herrn, der auch bei den schlimmsten Konflikten die Hoffnung auf einen diplomatischen Ausweg nie verlor – und sich damit in der Hitliste der beliebtesten Politiker nach ganz oben katapultierte. Zum anderen ist sich Gabriel bewusst, dass die Bundesregierung einen Modus Vivendi mit den Trump-Leuten finden muss.

Gabriel weiß, wie im Übrigen auch Kanzlerin Angela Merkel (CDU), dass die transatlantischen Beziehungen unter Trump schwer beschädigt sind. Merkel und Obama waren nach Startschwierigkeiten am Ende fast ein politisches Liebespaar. Der US-Präsident lobte die Flüchtlingspolitik der Deutschen über den grünen Klee, Trump geißelt sie offen als „Katastrophe“. Der amerikanische Außenminister John Kerry und sein deutscher Amtskollege Steinmeier tüftelten in zahllosen Nachtsitzungen am Atom-Abkommen mit dem Iran oder an einer Waffenruhe für Syrien. Trump und sein nationaler Sicherheitsberater Michael Flynn giften gegen das Mullah-Regime und drohen, den Nuklear-Deal zu kippen. Beim Thema Handel setzt der Präsident auf Brachial-Maßnahmen: Zölle, Importsteuer, Grenzmauern.

Gabriel will verhindern, dass der Graben zwischen Amerika und Europa zwangsläufig tiefer wird. Am Nachmittag macht er sich zur Library of Congress auf, nur wenige Schritte vom Capitol entfernt. Im holzgetäfelten Ceremonial Room beugt er sich über eine deutsche Übersetzung der amerikanischen Unabhängigkeitserklärung von 1776. „Wir halten diese Wahrheiten für ausgemacht, dass alle Menschen gleich erschaffen worden, dass sie von ihrem Schöpfer mit gewissen unveräußerlichen Rechten begabt worden, worunter sind Leben, Freiheit und das Bestreben nach Glückseligkeit“, zitiert Gabriel aus dem historischen Dokument. Es ist ein symbolisches Bild mit einer versteckten Botschaft: Werte wie Freiheit, Menschenrechte oder Rechtsstaatlichkeit sind universell, die USA und Europa stehen auf einem gemeinsamen Fundament. Ein subtiler Wink an Trump & Co. Gabriel, der Brückenbauer.

Immerhin gibt es erste Äußerungen, die die konfrontative Sprache Trumps abmildern, in Teilen zumindest. US-Vizepräsident Mike Pence machte klar, dass das westliche Verteidigungsbündnis auch künftig Russlands Macht kontrollieren werde. Verteidigungsminister James Mattis wurde sogar noch deutlicher: Das Bündnis sei „gewiss die erfolgreichste Militär-Allianz in der modernen Weltgeschichte, wahrscheinlich die erfolgreichste überhaupt“. Trump hatte die Nato zuvor als „obsolet“ bezeichnet – und damit europaweit Panikwellen ausgelöst.

Auch Außenminister Rex Tillerson sorgte in den Regierungszirkeln der EU-Staaten für eine gewisse Erleichterung. Er sprach sich zwar für eine Zusammenarbeit mit Russland aus, nannte dessen Kurs aber zugleich „gefährlich“. Die Annexion der ukrainischen Halbinsel Krim durch Moskau kritisierte Tillerson als unrechtmäßig. Es bleibt abzuwarten, inwieweit diese Worte für bare Münze genommen werden können. Als Präsident des weltgrößten Erdölkonzerns Exxon Mobil hatte Tillerson enge Verbindungen zu Putin unterhalten. Er war in dieser Funktion auch entschiedener Gegner der Sanktionen gegen Russland im Zuge der Ukraine-Krise. Die Frage ist nun: Können sich realpolitische Naturen wie Pence, Tillerson oder Mattis gegen ihren aufbrausenden Chef durchsetzen, ihn wenigstens einhegen? Oder behalten Hardliner wie Sicherheitsberater Flynn die Oberhand? Im Stab von Gabriel hofft man, dass Trump auf die moderaten Kräfte hört.

Die Reise des Außenministers ist eine Expedition. Die Kanzlerin darf gespannt sein, welche Erkenntnisse Gabriel aus dem Reich des fremd gewordenen Partners mitbringt. Merkel will Trump bald treffen, möglichst noch vor dem G20-Gipfel Anfang Juli in Hamburg.