Berlin.

Es war ein starker Auftritt für den SPD-Kanzlerkandidaten Martin Schulz: Mit Jubel und minutenlangem Beifall wurde der 61-Jährige am Mittwoch in der SPD-Bundestagsfraktion empfangen – keine 24 Stunden, nachdem der Parteichef Sigmar Gabriel dort seinen Rückzug angekündigt hatte. Die Genossen erhoffen sich von Schulz Aufwind für den Bundestagswahlkampf. Aber wie gefährlich wird er wirklich für Angela Merkel? Kann er Kanzler? Dafür steht der Kandidat:

Sein Programm: Was Schulz inhaltlich in der Bundespolitik will, ist nur in Umrissen bekannt. Er war 22 Jahre mit Leib und Seele Europapolitiker in Brüssel, hat sich nie in die deutsche Innenpolitik eingemischt. Vertraute beschreiben ihn als Pragmatiker, der durch die Kommunalpolitik geprägt wurde. Das Wahlprogramm der SPD steht aber in den wichtigsten Punkten ohnehin schon. Eine große Programmrede hat er für Sonntag angekündigt.

Sozialpolitik: Schulz ist wie Gabriel ein klassischer Sozialdemokrat, er will soziale Gerechtigkeit in den Mittelpunkt stellen. Gleiche, faire Chancen für alle, eine sichere Zukunft für die Kinder. Die Eckpunkte des Wahlprogramms – mehr Elterngeld, Kita-Ausbau, Entlastung für kleinere Einkommen, höhere Steuern für Gutverdiener – muss auch Schulz vertreten.

Außenpolitik: Was internationale Erfahrung anbelangt, kann es Schulz mit Merkel aufnehmen: Als EU-Parlamentspräsident hat er viel Erfahrung auf dem diplomatischen Parkett gesammelt – und zu vielen EU-Regierungschefs hat er einen besseren Draht als die Kanzlerin. Er plädiert für eine echte europäische Regierung und ein stärkeres Parlament.

Flüchtlingspolitik: Schulz stützt im Wesentlichen den Kurs der Kanzlerin. Er ist gegen nationale Obergrenzen, fordert einen besseren Schutz der EU-Außengrenzen und eine gerechte Verteilung der Flüchtlinge in Europa.

US-Präsident Donald Trump: Vor der US-Wahl drückte Schulz sein Missfallen über den Republikaner aus: „Trump ist nicht nur für die EU ein Problem, sondern für die ganze Welt.“ Nach der Wahl riet Schulz zur Gelassenheit – und verwies darauf, dass sich viele Ankündigungen Trumps nicht in die Tat umsetzen lassen.

Innere Sicherheit: Ein zentrales Thema im Wahlkampf, bei dem Schulz erst noch Profil zeigen muss – bislang hält er sich aus den Debatten heraus.

Popularität: Relativ hoch. Obwohl Schulz in Berlin noch nicht viel in Erscheinung getreten ist, liegt er derzeit gleichauf mit Merkel: Eine Umfrage des ARD-Deutschlandtrends von Mittwoch ergab im direkten Vergleich 41 Prozent für beide.

Werdegang: Schulz ist das Kontrastprogramm zur promovierten Physikerin Angela Merkel: Er verließ die Schule ohne Abitur, war Buchhändler, wurde mit 31 Jahren Bürgermeister, ist seit 1994 EU-Abgeordneter. Der Sozialdemokrat macht aus der Aufstiegsgeschichte im Wahlkampf eine Stärke: „Ich habe die Welt von ganz unten gesehen – und ich bin stolz darauf, was ich erreicht habe.“

Regierungserfahrung: Keine. Schulz ist der erste Kanzlerkandidat seit Langem, der ohne jede Erfahrung in einem Landes- oder Bundesministerium antritt. Verwaltungserfahrung sammelte er als Bürgermeister der Stadt Würselen mit seinen heute 38.000 Einwohnern.

Motivation: Sehr hoch. „Dieses Land braucht in diesen schwierigen Zeiten eine neue Führung“, sagt Schulz. Er will ums Kanzleramt kämpfen. Der 61-Jährige ist sehr ehrgeizig und machtbewusst. „Wenn wir Sozis den Menschen zeigen, dass wir an sie denken, dann gewinnen wir die Wahl“, erklärte er vor der Fraktion.

Rhetorik: Schulz ist ein begnadeter und leidenschaftlicher Redner – das Gegenteil zur nüchternen Bundeskanzlerin. Der SPD-Politiker kann Menschen in Sälen und auf Marktplätzen mitreißen, ist schlagfertig und witzig.

Rückhalt in der Partei: Für große Teile der SPD ist Schulz jetzt der Hoffnungsträger. Stabil ist die Unterstützung noch nicht. Seit 1999 sitzt er in der engeren Parteiführung, aber seine Hausmacht ist überschaubar. Zu den starken Helfern zählt Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil, zu den Freunden Schatzmeister Dietmar Nietan.

Koalitionsfähigkeit: Für welche Machtoption Schulz steht, ist noch unklar. Sicher ist nur, dass er sich im Wahlkampf so deutlich von der großen Koalition absetzen wird, wie es Vizekanzler Gabriel nie hätte tun können – dabei hat Schulz im EU-Parlament selbst eine informelle große Koalition angeführt. Als Freund von Rot-Rot-Grün, der einzigen Machtoption, die der SPD jenseits der großen Koalition bliebe, galt Schulz bisher nicht. Gabriel hatte enge Kontakte zu Linken und Grünen aufgebaut, Schulz fängt von vorne an.