Paris.

Die Ohrfeige galt Präsident François Hollande, aber sie traf dessen Ex-Regierungschef Manuel Valls. Die erste Runde der sozialistischen Vorwahlen hat überraschend der Linksaußen Benoît Hamon gewonnen. Mit 36 Prozent konnte der frühere Erziehungsminister den als Favoriten gehandelten Valls (31 Prozent) auf den zweiten Platz verweisen. Am kommenden Sonntag muss nun ein Stichwahlgang zwischen diesen beiden Kontrahenten entscheiden, wer als Spitzenkandidat der Sozialistischen Partei (PS) bei den Präsidentschaftswahlen im Frühjahr antritt.

„Das wird ein heißer Tanz“, glaubt Valls’ Wahlkampfleiter Didier Guillaume. Eine Prognose, die nur wenige Beobachter teilen. Noch am Sonntagabend nämlich rief der mit 18 Prozent drittplatzierte Ex-Wirtschaftsminister Arnaud Montebourg seine Anhänger auf, bei der zweiten Runde für Hamon zu stimmen. Er besiegelte damit eine „Allianz der linken Rebellen“ gegen den sozialdemokratischen Regierungskurs Hollandes, für dessen Fortsetzung der erst im Dezember zurückgetretene Premier Valls wirbt.

Grundeinkommen von monatlich 750 Euro für alle

Tatsächlich steht Hamons Punktsieg für einen Linksruck bei den Sozialisten, der allerdings durch die schwache Wahlbeteiligung begünstigt wurde. Während die Vorwahlen des rechten Lagers im November mehr als vier Millionen Franzosen an die Urnen lockten, fanden am Sonntag weniger als 1,7 Millionen Bürger den Weg in die Wahllokale. Und die meisten dieser Linkswähler haben bei der Stimmabgabe ihrer Enttäuschung über die schwache Bilanz Hollandes Luft gemacht.

Diese Unzufriedenheit der PS-Anhänger ist es auch, die Valls’ Aussichten schmälert, das Blatt in der Stichwahl noch zu wenden. Trotzdem dürfte es jetzt zu einem beinharten, von unüberbrückbaren ideologischen Differenzen und persönlichen Animositäten aufgeheizten Schlagabtausch kommen. Der Showdown zwischen dem „Utopisten“ Hamon und dem „Realo“ Valls wird den Graben vertiefen, der sich in den letzten Jahren zwischen dem rechten und dem linken Flügel der Sozialistischen Partei aufgetan hat.

Es ist das Versprechen, ein bedingungsloses Grundgehalt von 750 Euro für alle einzuführen, mit dem der 49-jährige Hamon die Vorwahldebatte geprägt hatte. Dieses Vorhaben, das den Staatshaushalt mit jährlich 350 Milliarden Euro belasten würde, wurde sogar von Montebourg als „Träumerei“ abgetan. Hamon siegte trotzdem. Schlagzeilen und Scheinwerferlicht gehörten fortan dem stets ein wenig schüchtern wirkenden Ex-Erziehungsminister.

Alles andere als schüchtern hingegen ist Hamons Programm. Neben dem Grundgehalt für alle will er Roboter in der Industrie besteuern, den Cannabiskonsum legalisieren, 40.000 neue Lehrerstellen schaffen, die soeben verabschiedete Liberalisierung des Arbeitsrechts einkassieren und „unsere deutschen Freunde“ von einer Vergemeinschaftung der Staatsschulden in der Euro-Zone überzeugen. Auf europäischer Ebene ist Hamon für massive Investitionen. Für den Euro-Stabilitätspakt mit der Drei-Prozent-Defizit-Grenze hat er nichts übrig – und fordert für den Pakt ein Moratorium.

Kommentatoren rätseln immer noch über die Absichten des gebürtigen Bretonen Hamon. Der Erneuerer wolle gar nicht regieren, sondern die Kontrolle über die angeschlagene Sozialistische Partei übernehmen und diese ideologisch in Richtung eines ökologischen Umbaus der Wirtschaft trimmen – so sieht es die Tageszeitung „Le Monde“.

Den Ton der Auseinandersetzung hat Valls bereits vorgegeben. Mit Hamon als Kandidat sei den Sozialisten bei der Präsidentschaftswahl eine Niederlage sicher, warnte er und fügte hinzu: „Ich stehe für eine verantwortliche Linke, Hamon für unerfüllbare Versprechen.“ Die Antwort ließ nicht lange auf sich warten. „Die wirtschaftsliberalen Reformen und der Sparkurs sind gescheitert, die Zeit für eine neue Politik ist gekommen“, konterte Hamon.

Diese Kritik am Spar- und Reformkurs Hollandes ist nicht neu. Weil sie sich zu deren Sprachrohr gemacht hatten, mussten Hamon und Montebourg im Sommer 2014 die Regierung verlassen. Pikantes Detail: Es war Valls, der damals den Rauswurf seiner beiden Minister durchsetzte, indem er dem wieder einmal zaudernden Präsidenten mit seinem Rücktritt drohte: „Die oder ich!“

„Leider meint ein Teil unserer Partei, dass sie nur in der Opposition am richtigen Platz ist“, schimpfte gestern eine Vertraute von Valls im Gespräch mit dieser Redaktion und fügte hinzu: „Hamon liefert dafür das passende rosarote Wohlfühlprogramm.“ Die Rückfrage, ob Hamon damit nicht auch die Mehrheit der PS repräsentiere, verneinte die Genossin entschieden: „Das Rennen ist offen. Jetzt geht es darum, die vernünftigen Linkswähler zu mobilisieren, die am Sonntag zu Hause geblieben sind.“

Ähnlich denkt offenbar Parteichef Jean-Christophe Cambadélis. Er rief die Bürger auf, sich „massiv“ an der zweiten Runde am 29. Januar zu beteiligen. Unwirsch wies er gleichzeitig Darstellung zurück, denen zufolge der Sieger der Stichwahl bei den anstehenden Präsidentschaftswahlen keine Rolle mehr spielen könnte: „Die Präsidentschaftswahl ist ebenso wenig entschieden wie unsere Kandidatenkür.“ Letzte Umfragen zeichnen da ein anderes Bild. Weder Hamon noch Valls sollen laut diesen Momentaufnahmen eine Chance haben, im ersten Präsidentschaftswahlgang Ende April auf mehr als zehn Prozent zu kommen.

Ist Emmanuel Macron der lachende Dritte?

Ungleich bessere Aussichten räumen die Meinungsforscher hingegen zwei anderen Bewerbern aus dem linken Lager ein, die an den Vorwahlen gar nicht teilnehmen. Sowohl Ex-Wirtschaftsminister Emmanuel Macron als auch der von den Kommunisten unterstütze Linksfront-Gründer Jean-Luc Mélenchon liegen weit vor den Sozialisten.

Tatsächlich geht in der PS-Parteizentrale längst die Angst vor der Auszehrung um – und zwar unabhängig vom Ergebnis der Stichwahl. Zahlreiche Anhänger von Valls dürften im Falle einer Niederlage des Ex-Premiers mit fliegenden Fahnen zu Macron überlaufen. Umgekehrt gilt, dass sich ein guter Teil des linken PS-Flügels bei eine Niederlage Hamons in Mélenchons Linksfront einzureihen droht.