Washington.

Es ist einer der höchsten Feiertage in der amerikanischen Demokratie. Ein Augenblick gelebter Geschichte für das Volk, durch das Volk: „We, the people.“ Die Grabenkämpfe der Parteien ruhen. Pathos und Stolz ziehen in die Hauptstadt ein. Normalerweise.

Wenn Donald Trump am heutigen Freitag in Washington bei vorausgesagtem leichten Regen in das Amt des 45. Präsidenten der USA eingeführt wird, ist die Atmosphäre alles andere als durchgehend hoffnungsfroh. Der Milliardär aus New York startet mit historisch niedrigen Beliebtheitswerten von knapp 40 Prozent. Barack Obama geht mit 60 Prozent in sein neues Leben.

Der wegen Trump zur Schlammschlacht geratene Wahlkampf und das umstrittene Endresultat, der Stimmenvorteil für Clinton, die Spekulationen über russische Hilfe für Trump, haben Narben hinterlassen. Aber selbst als Sieger gibt der 70-Jährige seinen auf Konfrontation und Vergeltung geeichten Stil nicht auf. Ob Hollywoodstars wie Meryl Streep, Ikonen der schwarzen Bürgerrechtsbewegung wie John Lewis, Auto-Riesen wie General Motors oder auswärtige Regierungen – seit dem 8. November hat Trump außer Wladimir Putin so gut wie niemanden in seinen von über 20 Millionen Abonnenten verfolgten Twitter-Attacken verschont.

Sein von manchen wie Hohn empfundenes Versprechen, das zerrissene Land werde unter seiner Führung schon bald geeint zu neuer Größe finden, hat Gegen­reflexe ausgelöst. Im Washingtoner Stadtteil Chevy Chase, wo Trumps Vize Mike Pence eine Interimsbleibe angemietet hat, protestieren die Nachbarn seit Wochen mit Regenbogenfahnen – „für Vielfalt und gegen Borniertheit“.

Fast 70 Kongressabgeordnete der Demokraten – und damit ein Drittel der Gesamtfraktion – wollen die Amtseinführung boykottieren. Rund um die „Inauguration“ muss die Polizei mehr als 30 angemeldete Protestmärsche in den Griff kriegen. Linksgerichtete Organisationen rufen zu militanten Störmanövern auf. „Wir wollen Trump verhindern“, erklärte eine Sprecherin. Die größte Anti-Trump-Ansammlung wird am Sonnabend erwartet. Bis zu 250.000 Frauen, angeführt von den Sängerinnen Cher und Katy Perry und den Schauspielerinnen Amy Schumer und Scarlett Johansson, wollen für Gleichberechtigung, Vielfalt und gegen den von Trump zur Schau gestellten Sexismus auf die Straße gehen.

Das Trumpsche Festprogramm – Kostenpunkt alles in allem circa 200 Millionen Dollar – hat bereits am Donnerstag auf dem Nationalfriedhof Arlington in Virginia begonnen. Der neue Commander-in-Chief legte dort einen Kranz zu Ehren der US-Kriegsveteranen nieder. Trump hat sich zum Schutzpatron „unserer vernachlässigten Soldaten“ aufgeschwungen. Selbst hat er nie Dienst an der Waffe geleistet. Während des Vietnamkrieges ließ er sich untauglich schreiben. Fersensporn.

Der Tag der Amtseinführung beginnt am Freitagmorgen in der „St. John’s Episcopal Kirche“ mit einem Gottesdienst. Ab 11.30 Uhr Ortszeit (17.30 Uhr unserer Zeit) kommt es dann unter freiem Himmel zum Schwur. Im Schlüsselmoment der Machtübergabe wird Donald Trump unter freiem Himmel um 12 Uhr neben dem weißen Kuppeldom des Kapitols im Beisein von Gattin Melania und seiner Familie den Amtseid sprechen. Dabei wird er seine Hand auch auf die vor 156 Jahren von Abraham Lincoln benutzte Bibel legen. Danach singt die einer Talentesendung entsprungene Jackie Evancho (16) die Nationalhymne.

28.000 Sicherheitskräfte sind rund um das Kapitol im Einsatz

Die von dem Obersten Richter John Roberts abgenommene Formel hat sich seit der Premiere von George Washington am 30. April 1789 nicht geändert: „I do solemnly swear (or affirm) that I will faithfully execute the office of President of the United States, and will to the best of my ability, preserve, protect and defend the Constitution of the United States.“ (Ich schwöre/ beteuere feierlich, dass ich das Amt des Präsidenten der Vereinigten Staaten getreulich verwalten und die Verfassung der Vereinigten Staaten nach besten Kräften erhalten, schützen und verteidigen werde.)

Auf der für 1600 Ehrengäste installierten Tribüne am Kapitol werden neben Diplomaten, Richtern und Top-Wahlkampfspendern Trumps Konkurrentin Hillary Clinton sowie die noch lebenden Ex-Präsidenten Barack Obama (55), George W. Bush (70), Bill Clinton (70) und Jimmy Carter (92) sitzen. George H. W. Bush (92) kann wegen einer Lungenentzündung nicht teilnehmen. Europäischer Überraschungsgast: der britische Brexit-Antreiber und Rechtspopulist Nigel Farage.

Flankiert von 40 Marching-Bands aus Schulen und Universitäten werden Trump, Vizepräsident Pence und ihre Familien nach einem Mittagessen im Kapitol in einer Parade 2,4 Kilometer über die Pennsylvania Avenue zum Weißen Haus eskortiert. Hier wird zum ersten Mal die neue Präsidentenlimousine vorgeführt; ein acht Tonnen schwerer Cadillac-Koloss mit Blutkonserven, Tränengasgranaten, schusssicherem Panzerglas und Türen so schwer, dass man sie von innen nicht öffnen kann.

Spätestens jetzt wird der gewaltige Sicherheitsapparat spürbar. Auf den Dächern der Innenstadt sind Dutzende Scharfschützen postiert. Armee, Nationalgarde, Polizei, Heimatschutzministerium und Secret Service werden mit 28.000 Kräften vor Ort sein. Wer sich dem Geschehen auf Sichtweite nähern will, muss penible Personenkontrollen über sich ergehen lassen. Selfie-Sticks, Rucksäcke und Regenschirme – alles verboten. Prellböcke und mit tonnenweise Sand gefüllte Lkw sollen Attentate wie in Berlin und Nizza verhindern.

Wie viele Menschen Donald Trump sehen und feiern wollen, ist offen. Bei Obamas Premiere 2009 drängten bei klirrender Kälte von minus 15 Grad zwei Millionen Menschen an die Museumspromenade zwischen Kapitol und Obelisk. Diesmal wird laut Fremdenverkehrsbüro mit maximal 900.000 Schaulustigen gerechnet. Für die große Frauen-Demo am Sonnabend sind bisher 1800 Busse angemeldet. Für die Amtseinführung 400.