Berlin/Düsseldorf.

Sigmar Ga­briel ist so gut aufgelegt, dass er über die wichtigste Personalentscheidung der SPD sogar ein kleines Späßchen macht. „Ich sag jetzt mal was zur K-Frage“, erklärt der Parteivorsitzende am Dienstag bei einem Besuch der nordrhein-westfälischen SPD-Landtagsfraktion in Düsseldorf. Überraschung bei den Abgeordneten. Doch Gabriel – sichtbar schlanker und gut erholt – gratuliert dann bloß dem letzten Kanzlerkandidaten Peer Steinbrück zum siebzigsten Geburtstag. Groß ist seine Genugtuung, dass die Genossen bislang die strikte Geheimhaltung hingenommen haben, mit der er und die SPD-Spitze die Frage der Kanzlerkandidatur behandeln. Noch gut zwei Wochen, dann wäre der Plan der Parteiführung aufgegangen, den Kanzlerkandidaten erst am 29. Januar bei einer Vorstandsklausur auszurufen.

Doch jetzt gerät die Operation ins Rutschen. Die Entscheidung über den Kanzlerkandidaten ist, allen Tarnmanövern zum Trotz, offenbar schon gefallen. Prompt beginnt in der SPD die so lange vermiedene Personaldebatte.

Führende Genossen versichern, Gabriel greife selbst zur Kandidatur. Martin Schulz, der gern als Merkel-Herausforderer angetreten wäre, übernehme das Amt des Außenministers. Ein Spitzenmann, der Gabriel sehr nahesteht, sagte dieser Redaktion: „Die Würfel sind gefallen, Gabriel macht es“. Doch ist das wirklich sicher? Andere Führungsleute sind vorsichtiger und schließen eine Überraschung nicht völlig aus – Gabriel entscheide allein, er halte sein Blatt sehr dicht vor der Brust, heißt es. Dennoch ist die überwiegende Einschätzung der SPD-Spitze, dass alles auf Gabriel hinausläuft.

Auch wenn Gabriel weiter schweigt: Tatsächlich sprechen alle Hinweise für die Kandidatur des Parteichefs. Vorbereitungen trifft er seit Monaten, personell und inhaltlich. Bei allem Für und Wider fürchtet er, dass er bald den Parteivorsitz abgeben müsste, wenn er sich verweigert. Mit Altkanzler Gerhard Schröder hat sich Gabriel schon vor längerer Zeit einen einflussreichen Unterstützer gesichert.

Schröder war es, der Gabriel zum Erfolg beim Ringen um die Zukunft von Kaiser’s Tengelmann verhalf. Nicht nur der Arbeitsplatzerhalt bei der Supermarktfusion ist ein Plus auf Gabriels Konto. Seit Monaten bringt er die Partei diszipliniert voran. Er überredete die SPD zur Zustimmung des Ceta-Freihandelsabkommens mit Kanada, er fädelte die Nominierung von Frank-Walter Steinmeier als Bundespräsidenten-Kandidat ein. In der Sicherheitsdebatte nach dem Berliner Terroranschlag machte Gabriel jetzt klug und frühzeitig Punkte.

Wohldosiert zeigte er sich schon in einem Fernsehporträt von seiner privaten Seite mit Ehefrau Anke. Manche Genossen spekulieren inzwischen sogar, Gabriels Magenverkleinerung, für die er sich kurz vor Weihnachten ins Krankenhaus begab und die schon zu einem sichtbaren Gewichtsverlust führte, habe mit der Kandidatur zu tun. Gabriel hat längst einen genauen Plan für den Bundestagswahlkampf – den Überbau liefert er mit seinem geplanten Buch „Neuvermessung der Welt“, das im Frühjahr erscheinen soll.

Gabriels parteiinterne Kritiker sind beunruhigt

Alles fügt sich also jetzt zu einem Bild. Gabriels schärfste Kritiker sind zunehmend beunruhigt über die Aussicht, mit ihm in den Wahlkampf zu ziehen. Juso-Chefin Johanna Uekermann sagte am Dienstag in der ARD: „Ich glaube, dass die Stimmung nach wie vor sehr kritisch ist. Nicht nur bei den Jusos, sondern auch an der Parteibasis ihm gegenüber“. Tatsächlich ist die Zahl der Genossen, die gegen Gabriels Kandidatur sind, beträchtlich. Er ist kein Menschenfänger, seine Popularitätswerte in Umfragen sind mäßig und bis zur Wahl auch kaum noch durchschlagend zu verbessern – Gabriel liegt für die Demoskopen weit abgeschlagen hinter Merkel und auch deutlich hinter seinem Parteifreund Martin Schulz. Selbst die späte Klärung der K-Frage hat nicht geholfen. In Umfragen dümpelt die SPD weiter bei 20 Prozent.

Einen Aufstand hat Gabriel deshalb nicht zu befürchten. Aber Zweifel gibt es. Deshalb wollen die Spekulationen bei kundigen Genossen nicht enden, dass der SPD-Vorsitzende Ende Januar doch alle überrascht und Martin Schulz die Kandidatur überlässt. Jetzt, nach einer Serie politischer Erfolge und der Erwartung seiner Kandidatur wäre ein relativ guter Moment für einen souveränen Verzicht, heißt es bei Skeptikern. Dass er und seine Frau Anke im Frühjahr ihr zweites Kind erwarten, wäre eine nachvollziehbare Begründung für den Rückzieher.

Es wäre nicht das erste Mal, dass Gabriel die Öffentlichkeit in Kandidatenfragen überrascht: Vor der Bundestagswahl 2013 tat er offiziell jahrelang so, als sei er einer der drei potenziellen Kanzlerkandidaten. Als dann Peer Steinbrück gekürt wurde, erklärte Gabriel, er habe schon anderthalb Jahre zuvor entschieden, nicht anzutreten.

So oder so: Falsche Fährten werden bis zur Nominierung auch diesmal gelegt. Am Dienstagabend traf sich die engste SPD-Führung zur Strategieberatung in einem Flughafenhotel bei Düsseldorf. Doch Gabriel versuchte den Eindruck zu erwecken, ausgerechnet über die zentrale K-Frage werde da nicht gesprochen: „Wir reden über die Inhalte des Wahlkampfs“, sagte er. „Ich weiß gar nicht, wer überhaupt auf die Idee gekommen ist, dass wir über Personal reden.“