Berlin.

Sie stehen unter Dauerdruck. Es vergeht kaum ein Tag, an dem die Grünen nicht dazu aufgefordert werden, ihren Widerstand aufzugeben und einzulenken, die nordafrikanischen Länder Algerien, Tunesien und Marokko im Asylrecht als sichere Herkunftsstaaten einzustufen: von Kanzleramtschef Peter Altmaier über Innenminister Thomas de Maizière (beide CDU) und die CDU-Vize-Chefs Armin Laschet und Thomas Strobl bis hin zur CSU. Von „Blockade“ ist die Rede. „Unverantwortlich“ sagte CSU-Landesgruppenchefin Gerda Hasselfeldt am Montag.

Die Sozialdemokraten sind stiller, aber mit sich im Reinen. Mit ihren Stimmen wurde das Gesetz dazu längst im Mai 2016 vom Bundestag verabschiedet. Es war eine kleine Zerreißprobe. 22 SPD-Abgeordnete stimmten damals mit Nein. Dass es bis heute nicht in Kraft treten konnte, liegt nicht an ihnen, sondern an den Grünen im Bundesrat. Zum Schwur kam es in der Länderkammer nie, weil das Scheitern absehbar war: Die Grünen sagen Nein. Sie sind in elf von 16 Landesregierungen vertreten. Legt sich ein Regierungspartner quer – so regeln es die Koalitionsverträge –, dann enthält sich das jeweilige Land.

Das Gesetz ist beschlossen, aber „hängt“ im Bundesrat

Die Mehrheit im Bundesrat liegt bei 35 Stimmen. Aus eigener Kraft bringen Union und SPD 16 Stimmen auf – vom CSU-regierten Bayern und den großen Koalitionen im Saarland, in Sachsen und Mecklenburg-Vorpommern. Nur ein grün-regiertes Land signalisiert Umdenken: Baden-Württemberg, allen voran Ministerpräsident Winfried Kretschmann, ein Grüner. Er bewegt aber nur sechs Stimmen. So ist der Fall eingetreten, den sich der Grünen-Abgeordnete Volker Beck im Sommer so erhofft hatte: Das Gesetz ist jäh „verhungert“.

Bei sicheren Herkunftsländern gehen die Behörden von der Vermutung aus, dass im Regelfall keine Verfolgungsgefahr besteht. Alle EU-Staaten, Albanien, Bosnien und Herzegowina, Ghana, Kosovo, Mazedonien, Montenegro, Senegal und Serbien werden so eingestuft. Asylbewerber aus diesen Ländern kommen in speziellen Zentren wie im bayerischen Manching und Bamberg unter. Dort werden ihre Anträge beschleunigt erledigt. Das geht, weil viele (Klage-)Fristen verkürzt werden. In Manching kommt man so auf eine durchschnittliche Verfahrensdauer von sechs Wochen. Dann ist ein Antrag in letzter Instanz abgelehnt, der Bewerber wird ins Heimatland zurückgeschickt.

Altmaier betont, im Falle der Staaten Albanien und denen des früheren Jugoslawien habe die Einstufung „zu einem drastischen Rückgang der Zahl von Asylbewerbern geführt“. Nach dieser Erfahrung richtete die Regierung den Fokus auf die drei nordafrikanischen Staaten. Unter den Asylbewerbern sind rund 10.000 Marokkaner, 13.000 Algerier und 2500 Tunesier. Ihre Ablehnungsquoten sind hoch: 99 Prozent für Tunesier, 98 Prozent bei Algeriern, 97 Prozent bei Marokkanern. Altmaiers Hoffnung ist, dass nach einer Neueinstufung der drei Länder die Verfahren verkürzt werden und im Ergebnis Landsleute entmutigt werden, nach Deutschland zu fliehen. Bewerber aus sicheren Herkunftsstaaten dürfen hier weder arbeiten noch sich frei bewegen und müssen damit rechnen, nicht wieder einreisen zu dürfen.

Die Diskussion ist Jahre alt. Sie kocht wieder hoch, weil zuletzt einige Begleiterscheinungen der Zuwanderung aus Nordafrika unübersehbar geworden sind. Der Berliner Attentäter Anis Amri kam aus der Region, ein Großteil der Gewalttäter der Silvesternacht in Köln, vielerorts „Antänzer“, Trick- und Taschendiebe, allein in Düsseldorf mehr als 2000 Tatverdächtige. Man würde sie gern loswerden. Beck hält dagegen, Beschränkungen des Asylrechts taugten nicht zur Kriminalitätsbekämpfung. Das Instrument der sicheren Herkunftsstaaten „ermöglicht weder schnelle Abschiebungen, noch verhindert es die Begehung von Straftaten“. Ist die Verschärfung bloß eine Ersatzhandlung?

Bei der Abschiebung würden Rückführungsabkommen mehr helfen. Sowohl de Maizière als auch seine Kabinettskollegen Frank-Walter Steinmeier (Außenamt, SPD) und Gerd Müller (Entwicklungshilfe, CSU) haben die Region bereist. Es gibt solche Abkommen. Marokko sagte beispielsweise sogar zu, Anfragen binnen 45 Tagen zu bearbeiten.

Das Kleingedruckte ist indes ernüchternd. Die Marokkaner machen bei Massenabschiebungen nicht mit. Abgelehnte Asylbewerber müssen mit einer Linienmaschine kommen, maximal fünf pro Flug. Die „Royal Air Maroc“ bietet zwar jede Woche 18 Flüge an. Wenn man aber alle Möglichkeiten ausschöpft, könnten maximal einige Hundert Menschen im Monat abgeschoben werden.

Grünen-Chef Cem Özdemir schlug in der „Rheinischen Post“ Visaerleichterungen als Gegenleistung vor. Das empört Hasselfeldt noch mehr: „Dieser Vorschlag ist nur ein Ablenkungsmanöver von der Unfähigkeit der Grünen.“ Sie halte es für absurd, „Länder allein dafür zu belohnen, dass sie ihre eigenen Staatsbürger zurücknehmen“.

Grünen-Fraktionschef Anton Hofreiter lehnt eine Gesetzesverschärfung prinzipiell ab: „Da ist kein Bürgerkrieg, aber es gibt politische Verfolgung“, sagte er in der ARD. Das ist ein Argument, das spätestens bei den Karlsruher Verfassungsrichtern verfängt. Die haben 1996 geurteilt, in den betreffenden Staaten müsse die „Sicherheit vor politischer Verfolgung landesweit und für alle Personen- und Bevölkerungsgruppen bestehen“. Aus der Sicht von Menschenrechtsorganisationen wie Amnesty International werden Homosexuelle in den Maghreb-Staaten kriminalisiert.

Man muss unterscheiden zwischen dem Grundrechtsschutz zum Beispiel in der algerischen Verfassung – und der Praxis. Beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge ist man sich dessen bewusst. Die vertraulichen, internen „Herkunftsländerleitlinien“ beschreiben eine andere Realität als die Gesetze. Über Marokko heißt es, die Gleichheit von Mann und Frau werde durch Bezugnahme auf den Islam eingeschränkt, Vergewaltigung in der Ehe sei nicht strafbar, arrangierte Ehen nicht ungewöhnlich. Der Staat sei nicht in der Lage, Frauen angemessenen Schutz vor häuslicher oder familiärer Gewalt zu bieten. Bei bekannt gewordener Homosexualität könne „schutzrelevante Verfolgung durch die Behörden drohen“.

Rolf Mützenich kennt die Missstände. Trotzdem befürwortet der SPD-Außenpolitiker das Gesetz. Denn: „Auch Bewerber aus sicheren Herkunftsstaaten könnten ihren Antrag auf Asyl begründen.“ Sie werden angehört und können Beweismittel vorbringen, die belegen, dass ihnen abweichend von der Regelvermutung die Verfolgung droht.