Berlin.

„Männlich und allein zu Hause“ – so konnte man die Situation im Osten Deutschlands kurz nach der Wiedervereinigung beschreiben. Denn es waren vor allem junge Frauen, die Anfang der Neunzigerjahre in die alten Bundesländer abgewandert sind. Im Jahr 1992 etwa ließen sich über 60.000 Frauen im Westen nieder, bei den Männern war es genau die Hälfte.

Doch das Phänomen hat sich mittlerweile gedreht. Nach einer Untersuchung des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW) über die Wanderungsbewegungen zwischen Ost und West, die dieser Zeitung exklusiv vorliegt, wandern seit 2009 mehr Männer als Frauen von den alten in die neuen Bundesländer. Nach den aktuellsten Zahlen des Statistischen Bundesamtes für das Jahr 2014 verließen per Saldo 3234 Männer den Osten (ohne Berlin) gen Westen und nur noch 92 Frauen.

Diese Wanderung ist insgesamt der mit Abstand geringste Wert seit der Wiedervereinigung. „Der Osten hat sich stabilisiert, der Strukturwandel ist vollzogen“, sagt IW-Forscher Wido Geis. Seine Erklärung für die stark gesunkenen Zahlen: „Die neuen Bundesländer haben wirtschaftlich aufgeholt, der starke Abbau der Arbeitsplätze aus den Nachwendejahren ist gestoppt. Der Osten ist attraktiv geworden.“

Die Abwanderungsbewegung gen Westen war enorm: 1991 verließen 165.000 Menschen Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen-Anhalt, Sachsen, Brandenburg und Thüringen. Fünf Jahre später waren es nur noch 25.000, die Ostdeutschland den Rücken kehrten, doch im Zuge der schwierigen wirtschaftlichen Lage in den neuen Bundesländern waren es 2001 wieder 98.000 Menschen. Seitdem jedoch geht die Zahl kontinuierlich zurück, auch weil Menschen wieder in den Osten zurückgekehrt sind.

Frauen fehlen in den neuen Bundesländern immer noch

Was sich jedoch immer noch nicht angeglichen hat zwischen neuen und alten Bundesländern, ist die Geschlechterverteilung. So waren im Jahr 2014 im Osten 52,4 Prozent der 20- bis 49-jährigen Personen männlich, während es im Westen nur 50,5 Prozent waren. Ein deutliches Plus. Den höchsten Männerüberschuss in dieser Altersgruppe wiesen mit einem Anteil von jeweils 52,7 Prozent Sachsen-Anhalt und Thüringen auf, gefolgt von Sachsen mit 52,6 Prozent, Mecklenburg-Vorpommern mit 52,4 Prozent und Brandenburg mit 51,6 Prozent. Einen Frauenüberschuss in dieser Altersklasse gab es nur Hamburg. Insgesamt gibt es in den ländlichen Gebieten der neuen Bundesländer überdurchschnittliche viele Männer, schreiben die IW-Experten. Bleibt die Frage, warum es dennoch zu einer Verschiebung bei der Ost-West-Wanderung insgesamt gekommen ist. „Ein wichtiger Faktor sind die Perspektiven am Arbeitsmarkt“, erklärt Geis. Diese hätten sich insbesondere im Dienstleistungsbereich, also etwa im Gaststättengewerbe, im Einzelhandel oder in der Pflege, wo sehr viele Frauen beschäftigt sind, deutlich gebessert.

Trotz des deutlichen Rückgangs der Ost-West-Wanderung verlieren nach wie vor viele ländliche Kreise in Sachsen-Anhalt, Sachsen und Thüringen sowie dem südlichen Brandenburg stark an Bevölkerung. Das betrifft allerdings auch einige Regionen im Westen, insbesondere im nördlichen Bayern. Die stärkste Abwanderung gab es im Jahr 2014 im Landkreis Fürth mit 4,2 Personen je 1000 Einwohnern. An zweiter Stelle folgte der Elbe-Elster-Kreis in Brandenburg mit 3,7 und an dritter die Stadt Würzburg mit 3,4.

Städte und Ballungsräume wie Berlin, Hamburg, München und Oberbayern, das Rhein-Main-Gebiet oder der Großraum Stuttgart dagegen verzeichnen einen regelrechten Run. „Es gibt eine Tendenz hin zu den Ballungsräumen und vom Land in die Stadt“, erläutert der IW-Experte und nennt es einen „Urbanisierungstrend“. Der birgt angesichts einer älter werdenden Gesellschaft große Probleme. Viele junge Leute zieht es in die Städte, auf dem Land bleiben die Älteren zurück.

Mehr als 90 Prozent aller ostdeutschen Gemeinden haben zwischen 2008 und 2013 Bevölkerung verloren. Einen Zuwachs verzeichneten nur die „Leuchttürme“ Leipzig, Dresden, Jena, Erfurt und Potsdam. Die medizinische Versorgung leidet darunter, auch die Möglichkeiten zum Einkaufen oder zur Freizeitgestaltung. Was also tun? Bessere Rahmenbedingungen für die Wirtschaft, Investitionen in den Ausbau der Glasfasernetze, damit gezielt Institutionen wie etwa Forschungsinstitute angesiedelt werden können. Berater der Bundesregierung schätzen einen Betrag von 60 bis 80 Milliarden Euro um einen flächendeckenden Breitbandausbau sicherzustellen. Denn ohne eine digitale Infrastruktur wird sich kein Unternehmen auf der „grünen Wiese“ ansiedeln.