Seeon. CSU-Chef Horst Seehofer lehnt eine Abschaffung des bayrischen Verfassungsschutzes ab – sein neuer Gegner ist der Bundesinnenminister

Wirkt Horst Seehofer wortkarg und ironisch, kühl bis ans Herz, horcht man auf. „Manchmal gibt es Spontanüberraschungen aus Berlin“, sagt der CSU-Chef, „ich kann ihnen nur sagen: Eine Auflösung des bayrischen Landesamtes für Verfassungsschutz wird niemals kommen.“ Eine klare Absage an die Vorschläge von CDU-Innenminister Thomas de Maizière.

Draußen kündigt sich düster am Himmel „Tief Axel“ an, es schneit unaufhörlich, drinnen im Kloster Seeon auf der Klausur der Berliner Landesgruppe der CSU ist auch ein Wettersturz im Anmarsch – ein politischer. Den Unionsparteien droht der nächste Fundamentalkonflikt, diesmal nicht über die Flüchtlingsfrage, sondern über die Sicherheitspolitik.

Ihre Neujustierung hatte Bayerns Ministerpräsident nach dem Terroranschlag in Berlin verlangt. Gemeint war eine Feinabstimmung, eine bessere Abstimmung zwischen Bund und Ländern, mitnichten aber das System „auf den Kopf zu stellen“, wie er jetzt klarstellt.

Darauf laufen nach seiner Analyse de Maizières jüngste Vorschläge hinaus, der mehr Kompetenzen für den Bund anmahnt, unter anderem die alleinige Zuständigkeit für den Verfassungsschutz. Die CSU hält in der Sache dagegen und ist über die Form pikiert, über Zeitpunkt und Vorgehensweise: Einen Tag vor der CSU-Klausur hatte de Maizière einen Aufsatz publiziert und gegenüber der CSU kein Wort darüber verloren. Seehofer erfuhr es aus der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“. Da war er schon bedient. Schließlich sieht sich der Freistaat „als das Sicherheitsland Nummer eins. Das ist ein Qualitätsmerkmal“, sagt CSU-Generalsekretär Andreas Scheuer. Da lässt man sich ungern von anderen überholen.

De Maizière hat Merkels Rückendeckung

Scheuer spielt den Ball zurück. Der Bund solle „die unangenehmen Fragen“ klären: Warum habe der Attentäter von Berlin nach Deutschland einreisen können? Und hinterher durch halb Europa fliehen? Es sind Fragen, die an den Innenminister gerichtet werden und damit an die CDU, die ihn unterstützt, und an Kanzlerin Angela Merkel, die ihn zu dem Aufsatz ermuntert hatte. Er hat Merkels Rückendeckung. Mit den Augen der CSU sieht es so aus, als ob sich
die CDU in Stellung bringt. Sorgsam registrierte Seehofer, wie die CDU-Führung in den letzten Wochen Kritik an ihm geübt hatte, Strobl, Laschet, Klöckner, de Maizière – er hat ihre Namen parat. „Wir brauchen uns nicht gegenseitig zu belehren“, sagt Seehofer. Er wirkt betont ruhig und beherrscht. Er habe sich als CSU-Chef „Geduld und Gelassenheit“ angeeignet, vor allem „wenn ich weiß, dass etwas nicht kommt“ – ein Seitenhieb gegen de Maizière.

Der Innenminister ist unten durch bei den Christsozialen. Die Forderungen der Berliner Landesgruppe sind schon knallhart, unter anderem eine längere Abschiebehaft für Gefährder und den Einsatz von Fußfesseln gegen Extremisten. Doch nun wird das bayrische Kabinett sie womöglich übertreffen. In der nächsten Woche will es einen Beschluss zur inneren Sicherheit fassen, der in aller Eile gerade verschärft wird. Darüber hinaus ist es ein offenes Geheimnis, dass die CSU im Falle eines Sieges bei der Bundestagswahl de Maizière verdrängen will.

Seehofer wäre nach eigenen Worten bereit, den CSU-Vorsitz aufzugeben, wenn sein Nachfolger nach Berlin und im Falle eines Wahlsieges ins Kabinett geht. Da sein Finanzminister Markus Söder das energisch ablehnt, fällt Seehofers Blick auf Innenminister Joachim Herrmann. Wenn er sich zum Wechsel nach Berlin bewegen lässt, käme für ihn ein Posten infrage: de Maizières Sessel. Seehofer selbst will nicht nach Berlin, „da müsste schon der Himmel über Bayern einstürzen“.

Die Bundestagswahl ist allerdings noch Zukunftsmusik und die Gegenwart verwirrend genug, wie zwei aktuelle Umfragen zeigen. Im Wahltrend von Forsa für „Stern“ und RTL bekam die Kanzlerin von den Anhängern der bayerischen Schwesterpartei im Schnitt 72 von 100 möglichen Vertrauenspunkten, für Seehofer gab es nur 69 Punkte. Das heißt doch wohl, dass die Anhänger der CSU ihrem eigenen Parteivorsitzenden weniger vertrauen als Angela Merkel.

Die andere Umfrage von Sat.1 brachte wiederum hervor, dass die CSU 46 Prozent in Bayern erringen würde, wenn am nächsten Sonntag Bundestagswahl wäre. Das darf Seehofer wiederum als eine Bestätigung seines Kurses empfinden.

Nichts ist berechenbar, auch nicht das für Anfang Februar vorgesehene Treffen der Präsidien von CDU und CSU. Es sei freilich „programmatisch und inhaltlich noch nicht finalisiert“, gibt Seehofer zu Protokoll. Er bekräftigt, es mache auch nur Sinn, „wenn wir uns auch gemeinsam inhaltlich, sachlich präsentieren“. Das abschreckende Beispiel war für ihn und CDU-Chefin Merkel ein ähnliches Treffen im Jahr 2008 in Erding. Damals stritten die Schwesterparteien über die Pendlerpauschale und gingen uneinig auseinander. Das soll sich nicht wiederholen. Wenn sie sich in den nächsten Wochen nicht annähern, wird ein Treffen sinnlos.

CDU und CSU hatten schon bisher Differenzen über die Frage einer Obergrenze für Flüchtlinge (nach der Devise: lieber Opposition als keine Obergrenze), über Volksentscheide, die Abschaffung des Solidarzuschlages – und nun kommt de Maizières Agenda hinzu. Was Seehofer allgemein über die Gesellschaft sagt – „dieses Land ist polarisiert und gespalten“ – gilt auch für die CSU. Auf der Zufahrt zum Kloster empfangen ihn Demonstranten mit Plakaten: „Obergrenze null, Rücktritt für Merkel“.

Die Vorzeichen sind dramatisch, sie hätten zu Wildbad Kreuth gepasst, wo die CSU traditionell zu Neujahr zusammenkommt und schon einmal der CDU den Krieg erklärt hat. Dort wird zurzeit renoviert. Diesmal mussten sie zum Kloster Seeon in der Nähe des Chiemsees ausweichen, das 994 gegründet wurde, im Laufe der Jahrhunderte Brauerei, Kurbad, fürstliche Residenz, erst im Besitz des Zaren, dann eines Großindustriellen war, später SA-Schule, Lazarett, Flüchtlingslager, Hotel, Gaststättenbetrieb, Möbelfabrik, Schule des Bundesgrenzschutzes und Polizeikaserne, auf die Kirchen und dann an den Bezirk Oberbayern überging. Anno 2017 ist es der Raufplatz der CSU.