Washington.

Höre nicht auf, an morgen zu denken. „Don’t stop thinking about tomorrow.“ Der Gassenhauer von Fleetwood Mac, den Bill Clinton zu seiner präsidialen Wahlkampf-Melodie erkor, klingt Barack Obama immer dröhnender im Ohr. Noch knapp zwei
Wochen. Dann beginnt für den 44. Präsidenten der Vereinigten Staaten und seine Familie nach acht Jahren Pflichterfüllung ein neues Leben. Befreit von den Fesseln eines durchgetakteten Tages wird der am Kopf ergraute, aber blendend vitale Hobby-Golfer nach der Amtsübergabe an Donald Trump am 20. Januar in den aktiven Ruhestand treten.

Über das Wie und Wo und Was wird in Washington auch deshalb seit Wochen leidenschaftlich spekuliert, weil Obama als erster Alt-Präsident seit Woodrow Wilson (1856 bis 1924) nicht sofort das Weite sucht.

Damit Sasha (15), die jüngere der beiden Obama-Töchter, 2018 unbeschwert den Abschluss an der exklusiven Sidwell-Highschool (40.000 Dollar im Jahr) machen kann, schieben die Obamas den Umzug in ihre Heimat Chicago auf und bleiben in der Hauptstadt.

Obama will um sein politisches Vermächtnis kämpfen

Die Familie hat im Diplomaten-Viertel Kalorama direkt am wundervollen Rock Creek Park ein Haus mit 800 Quadratmetern Wohnfläche angemietet.

Zwei Jahre lang werden Obama und sein Nachfolger also gemeinsam in der gleichen Stadt sein. Eine Konstellation mit Sprengkraft. Obamas Büchsenspanner hatten vor Wochen mitgeteilt, dass der Noch-Amtsinhaber nicht darauf aus sei, von der Seitenlinie aus seinem Nachfolger in die Arbeit zu granteln. Seit Trump allerdings klargemacht hat, Obamas Vermächtnis auf fast allen Politikfeldern pulverisieren zu wollen, sieht die Sache gänzlich anders aus. „Ich werde mich einmischen“, kündigte Obama an. Um das Vakuum im demokratischen Talente-Pool zu füllen, will sich der scheidende Commander-in-Chief zudem als Mentor für den politischen Nachwuchs engagieren. Ebenso auf dem Programm: die Arbeit in der Allianz „My Brother’s Keeper“, die sich um benachteiligte schwarze und hispanisch-stämmige Jugendliche kümmert.

Und außerdem? „Alles offen“, sagt Marty Nesbitt, einer der ältesten Jugendfreunde, „er wird seine Möglichkeiten testen und dann in Ruhe entscheiden.“ Zeitdruck besteht nicht. Der seit 60 Jahren geltende „Former Presidents Act“ garantiert Obama das Gehalt eines Kabinettsmitglieds, derzeit rund 205.000 Dollar pro Jahr. Plus Leibwächter. Bis ans Lebensende. Die Steuerzahler-Kosten für die fünf noch lebenden US-Präsidenten (neben Obama sind das Bill Clinton, Jimmy Carter sowie George Bush und sein Sohn George W. Bush) steigen damit im Jahr auf insgesamt vier Millionen Dollar.

Manche Vorgänger Obamas verfielen nach dem Ausscheiden auf ungewöhnliche Zeitvertreibe. George Washington wurde auf seinem Landsitz in Mount Vernon zum Whiskey-Brenner. Thomas Jefferson las Plato im griechischen Original. Theodore Roosevelt ging auf eine einjährige Safari. Franklin D. Roosevelt sammelte Briefmarken. Harry Truman widmete sich seinem Klavier. Dwight Eisenhower züchtete Angus-Rinder. Lyndon B. Johnson sammelte Autos. Richard Nixon kegelte. Ronald Reagan gab seinem Pferd die Sporen. Und Bill Clinton jettet bis heute als Vorsitzender seiner eigenen Stiftung als Handlungsreisender in Sachen Weltverbesserung um den Globus.

Obama, laut ärztlichen Bulletins kerngesund, ist erst 55 Jahre alt, wenn der vielleicht stressigste Job der Welt hinter ihm liegt. Eine Tochter, die 18-jährige Malia, ist dann so gut wie aus dem Haus und studiert nach einem Orientierungsjahr in Harvard. Der Abflug der 15-jährigen Sasha aus dem elterlichen Nest ist nur eine Frage der Zeit. Da muss doch noch mehr kommen als nur die traditionelle Präsidenten-Bibliothek samt Museum und Archiv im Süden Chicagos. Für den Personenkult in Stein treiben Obama-Gönner 500 Millionen Dollar ein.

Obama weiß um seine Vielseitigkeit. Er gibt nicht nur bei alten Al-Green-Nummern („Let’s Stay Together“) einen sehr ordentlichen Soulsänger. Eine CD, vielleicht gemeinsam mit Jay-Z, wäre eine Sensation. Seine selbstironischen Auftritte beim jährlichen Dinner der White-House-Korrespondenten gereichen so manchem Stand-up-Comedian zur Ehre. Mit Vortragsreden – Preisklasse 150.000 Dollar aufwärts für 45 Minuten – könnte der erste Schwarze im höchsten Staatsamt pro Monat leicht ein Jahresgehalt für die Haushaltskasse beisteuern. Gattin Michelle (52), die im Wahlkampf sensationell an Statur gewonnen hat und landesweite Bewunderung genießt, dürfte in ähnlichen Honorar-Kategorien liegen. Ob als Talkmasterin, Lobbyistin für Frauen-Angelegen-heiten, Rednerin oder Unternehmerin – der scheidenden First Lady stehen laut Washingtoner Headhuntern „alle Karriere-Wege offen“. Aber auch sie lässt sich nicht in die Karten schauen.

Programmiert ist für Ende 2017 ein drittes Obama-Buch, das die erste Innensicht auf acht Jahre Oval Office ermöglicht. Die beiden Vorläufer „Dreams from My Father“ und „The Audacity of Hope“ haben bereits viel Geld eingebracht. Diesmal ist von Vorschüssen in Höhe von 15 Millionen Dollar die Rede. Weil seine Leidenschaft für intellektuelle Auseinandersetzungen bekannt ist, könnte es sein, dass Obama außerdem an einer renommierten Universität Vorlesungen hält. „Ich liebe das Unterrichten. Ich vermisse es, nicht mehr im Seminarraum zu sitzen und mich mit Studenten zu beschäftigen.“

Heuert der Ex-Präsident bei Apple oder Google an?

Auch eine Aufgabe an der Schnittstelle Internet/Silicon Valley/Künstliche Intelligenz/Ethik ist vorstellbar. Obama hat gute Kontakte zu den Branchen-Riesen von Apple bis Google und überdurchschnittliches Interesse an Zukunftsthemen. Stichwort: erste Mars-Landung. Vielleicht geht der leidenschaftliche Basketball-Fan aber auch unter die Klub-Anteilseigner. In der Profi-Liga NBA schwirren seit Langem entsprechende Gerüchte herum.

Nur eins darf man wohl ausschließen. George W. Bush malte nach dem Abschied aus Washington auf seiner Ranch in Crawford/Texas erst Tiere. Und später sich selbst in der Badewanne. So wird sich Barack Obama niemals in Szene setzen.