Berlin.

Der Fall erregt die Gemüter: Sieben junge Männer haben versucht, einen Obdachlosen in einem Berliner U-Bahnhof anzuzünden. Alle sieben sind Flüchtlinge, sechs kommen aus Syrien, einer aus Libyen. Zum großen Teil sind sie noch minderjährig. Es ist ein spektakulärer Einzelfall, aber er scheint in eine Reihe von Aufsehen erregenden Straftaten zu passen, die von jungen Flüchtlinge begangen wurden. Läuft hier etwas schief mit der Integration? Die wichtigsten Fragen und Antworten:

Welche Fälle gab es in diesem Jahr?

In Freiburg wurde Mitte Oktober eine Studentin ermordet, Anfang Dezember ist klar: Der Tatverdächtige ist ein Flüchtling aus Afghanistan. Ebenfalls Anfang Dezember soll ein irakischer Asylbewerber in Bochum zwei Frauen vergewaltigt haben. Ende Oktober soll es in Freiburg zu einer versuchten Vergewaltigung von zwei Frauen gekommen sein – die Täter waren offenbar Flüchtlinge aus Gambia. Im Frühjahr gab es im schleswig-holsteinischen Norderstedt sexuelle Übergriffe in einem Schwimmbad, verhaftet wurden zwei Flüchtlinge. Begonnen hatte das Jahr mit der Kölner Silvesternacht, in der Hunderte Frauen Opfer sexueller Übergriffe wurden.

Sind Flüchtlinge krimineller als andere Ausländer oder als Deutsche?

Nach Angaben des Bundesinnenministeriums sind Flüchtlinge nicht krimineller als Deutsche. Konkrete Zahlen, die einen Vergleich ermöglichen würden, liegen aber noch nicht vor. Bekannt ist: Im ersten Halbjahr 2016 gab es 142.500 registrierte Fälle, bei denen zumindest ein Flüchtling tatverdächtig war. Von Januar bis Juni ging die Zahl dabei um rund 36 Prozent zurück. Besonders stark sei der Rückgang bei Diebstahlsdelikten, Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung sowie bei Vermögens- und Fälschungsdelikten, heißt es beim Bundeskriminalamt (BKA). Die Statistik erfasst Tatverdächtige, also nicht immer auch die wirklichen Täter. Sie differenziert auch nicht, ob ein Verdächtiger überführt und verurteilt wurde. Unter den Tatverdächtigen stammen überproportional viele vom Balkan, aus afrikanischen Ländern wie Gambia, Nigeria und Somalia, aber auch aus Maghreb-Staaten. Dagegen zählt nur ein relativ kleiner Anteil der nach Deutschland geflüchteten Syrer, Afghanen und Iraker zu den Tatverdächtigen. Mit anderen Worten: Die größte Gruppe unter den Flüchtlingen ist in der Kriminalitätsstatistik geringer vertreten.

Warum werden offenbar vor allem junge, männliche Flüchtlinge straffällig? Wie integrierbar sind sie?

Die Flüchtlinge, die gekommen sind, sind zumeist jung und männlich. Allein im Rekordjahr 2015 waren fast 70 Prozent der Asylantragsteller Männer – und hiervon mehr als 70 Prozent unter 30 Jahren. Diese Altersgruppe gilt im Behördenjargon als „stärker kriminalitätsbelastet“. Den Vorsitzenden des Bundes Deutscher Kriminalbeamter (BDK), André Schulz, wundert das nicht: „Jugendliche und heranwachsende Männer werden überproportional häufig zu ihrem Anteil in der Bevölkerung strafrechtlich auffällig – unabhängig von der Herkunft oder der Ethnie.“ Bei Flüchtlingen stelle sich da schnell die Frage: „Welche Perspektiven haben die jungen Männer?“ Schulz betont, es gebe keine Entschuldigung für Straftaten, „aber es gibt Erklärungen“. Viele junge Flüchtlinge hätten sich hier ein besseres Leben erhofft. „Aber sie haben kaum Möglichkeiten, legal beschäftigt zu werden, Geld zu verdienen und an unserer Gesellschaft teilzuhaben.“ Oft hätten junge Flüchtlinge auch keine festen partnerschaftlichen Beziehungen. Schulz bemängelt, dass die Hürden des Nachzugs von Familienmitgliedern hoch sind und jüngst nochmals erschwert worden seien: „Die jungen Männer langweilen sich und sehen keine Zukunft für sich“, stellt der BDK-Chef fest. „Solche Voraussetzungen lassen ein Abrutschen in die Kriminalität dann wahrscheinlicher werden.“ Sozialarbeiter, die junge Flüchtlinge betreuen, heben auch deren schwierige psychische Situation hervor. Viele hätten in ihrer Heimat und auf der Flucht Gewalt und Unrecht erfahren. Sie seien von Eltern und Familie getrennt und müssten die Anforderungen des fremden Landes allein bewältigen. Bei der Bewältigung dieser Traumata bekämen sie zu wenig Unterstützung.

Wie reagiert die Politik auf die Taten - und auf Integrationsprobleme?

Eine Umfrage im Auftrag des Hamburger BAT-Instituts zeigt: Nur 15 Prozent der Deutschen glauben, dass der Integrationsprozess gelingen wird. Auch eine Emnid-Umfrage im Auftrag dieser Zeitung verdeutlicht, dass die Deutschen die Flüchtlingskrise als wichtigste Herausforderung für 2017 betrachten. Die Integrationsbeauftragte der Bundesregierung, Aydan Özoguz (SPD), warnt jedoch vor Aktionismus und fordert zunächst Aufklärung: „Ich verurteile jede dieser Taten ausdrücklich, jede war und ist schrecklich, und wir müssen uns die Frage stellen, was wir aufgrund der Erkenntnislage sogar hätten verhindern können.“ Dass sich die Bürger Sorgen machen würden, sei verständlich. Auch die Suche nach einfachen Antworten sei naheliegend. „Aber Straftaten werden nicht dadurch verhindert, indem man keinem Flüchtling mehr hilft, bei uns Fuß zu fassen“, warnt Özoguz.

Worauf kommt es jetzt an?

Nach Ansicht des Vorsitzenden der Innenministerkonferenz, Klaus Bouillon (CDU), gibt es zu wenige Integrations- und Sprachkurse. Eine Wartezeit von sechs Monaten für einen Integrationskurs sei zu lang, sagt er. Auch Özoguz hält es gerade bei jungen Menschen für wichtig, „dass sie schnell spezielle Fördermaßnahmen erhalten und mit Bildungsmaßnahmen beschäftigt sind, statt rumzuhängen“. Gemeinsam müsse man sich bemühen, „so viel wie möglich Anknüpfungspunkte in die Gesellschaft zu schaffen“. Der SPD-Bundestagsabgeordnete Mahmut Özdemir sieht in der Sprache den Schlüssel zur Integration: Notfalls müsse es einen Zwang zum Deutschlernen geben. Und: Kriminelle Ausländer müssten konsequent abgeschoben werden.

Wie leicht finden Flüchtlinge Arbeit und können Geld verdienen?

Das hängt vor allem von ihren Deutschkenntnissen und ihrer Vorbildung ab. Eine wissenschaftliche Befragung des Instituts für Arbeitsmarkt und Berufsforschung (IAB) und des Bundesflüchtlingsamts (BAMF) von 2300 Geflüchteten, die im November veröffentlicht wurde, kommt zu dem Schluss, dass die Teilnahme an Integrations- und Sprachkursen entscheidend ist. Wer sie absolviert hat, findet leichter und schneller einen Job: „Für Personen, die den Sprachkurs abgeschlossen haben, ist die Erwerbsbeteiligung signifikant höher“, heißt es in der Studie. Ebenfalls wichtig: eine vorhandene Berufsausbildung und ein abgeschlossenes Asylverfahren. Geflüchtete, die einen Abschluss haben, „finden 17 Monate schneller einen Job als solche ohne Ausbildung“, urteilen die Experten. Die Studie zeigt auch, dass es in der Praxis große Defizite gibt: So konnten 90 Prozent der Befragten bei ihrer Ankunft kein Deutsch. Zwei Drittel hatten immerhin irgendeinen Sprachkurs gemacht. Aber nur ein Drittel hatte an einem offiziellen Integrationskurs teilgenommen.

Auf dem Arbeitsmarkt haben es die Geflüchteten entsprechend schwer: Nur 15 Prozent der Ausländer aus den acht Staaten, aus denen die meisten Asylanträge kommen, haben einen Vollzeit-, Teilzeit- oder einen Minijob. Zum Vergleich: Die Beschäftigungsquote der Deutschen liegt bei zwei Dritteln. Nach den letzten verfügbaren Zahlen (September) sind 52,4 Prozent der Menschen aus den häufigsten Asylstaaten arbeitslos. Die Arbeitslosenquote der Deutschen beträgt 5,9 Prozent. Beide Werte sind tatsächlich höher, weil Teilnehmer von Sprach- und Arbeitsmarktkursen nicht erfasst werden.