Berlin.

Der mutmaßliche Attentäter von Berlin ist tot – doch die Ermittlungen nach möglichen Hintermännern und Mitwissern laufen. Bisher bleiben viele Fragen offen, der Fall wirft Rätsel auf. Der wichtigste Zeuge, der Täter selbst, kann nicht mehr aussagen. Polizisten töteten Anis Amri bei einem Schusswechsel in Mailand.

War Amri zweifelsfrei der
Attentäter von Berlin?

Der ermittelnde Generalbundesanwalt Peter Frank geht stark davon aus. Die Fingerabdrücke des Tunesiers sicherte die Polizei am Lenkrad und außen an der Tür des Lkw, mit dem der Islamist in den Weihnachtsmarkt am Berliner Breitscheidplatz gerast sein soll. Zudem fanden Polizisten Ausweisdokumente von Amri unter dem Fahrersitz.

Neben diesen Beweismitteln passt auch die Motivlage: Verfassungsschutz und Polizei kannten ihn als gewaltbereiten Islamisten, der sich in der Vergangenheit bereits Waffen besorgen wollte und über Märtyrer-Aktionen fabulierte. Im Spätsommer hatte der marokkanische Geheimdienst die deutschen Behörden laut Medienberichten vor Amri gewarnt. Was er konkret vorhatte, konnten sie offenbar nicht sagen.

Handelte es sich um einen Einzeltäter – oder war er Kopf einer Zelle?

Das ist Teil der laufenden Ermittlungen. Bisher gibt es keine Belege für Mittäter des Berliner Anschlags. Zudem ist unklar, wie eng Amri in das Terror-Netzwerk der Terrormiliz IS eingebunden war. Tunesische Behörden haben am Wochenende drei Männer festgenommen. Einer von ihnen ist der Neffe Amris. Er soll laut Medienberichten zugegeben haben, dass er mit Amri über eine Nachrichten-App in Kontakt gewesen sei. Amri habe gewollt, dass der Neffe dem IS die Treue schwöre. Reporter der „Welt“ fotografierten bei Amris Familie zudem den Personalausweis des Tunesiers – das Dokument fehlte den deutschen Behörden, um Amri abzuschieben.

Bemerkenswert ist: Laut tunesischem Innenministerium soll der Neffe ausgesagt haben, dass Amri ihm Geld geschickt habe, um sich in Deutschland einer Gruppe anzuschließen, die sich „Abu-Walaa-Bataillon“ nenne. Der islamistische Prediger „Abu Walaa“ und Mitglieder seines Netzwerks waren im November in Nordrhein-Westfalen und Niedersachsen festgenommen worden. Sie gelten als Helfer des IS in Deutschland und stehen unter Terrorverdacht. Amri soll Kontakt zu „Abu Walaa“ gehabt haben.

Dass Amri jedoch nach Berlin gezogen war, spricht dagegen, dass die Islamisten-Gruppe in die Attentatspläne eingeweiht war. Gesichert scheint nur: Amri muss vor dem Attentat im Austausch mit Akteuren des IS gewesen sein – denn am Freitag war über die IS-Medienplattform „Amaq“ ein Handyvideo von Amri aufgetaucht, in dem er auf den IS schwor und gegen die „Ungläubigen“ hetzte. Wie sehr der IS in die Planung des Anschlags eingebunden war, bleibt derzeit unklar.

Wo war Amri in den Stunden
nach dem Anschlag?

Auch das bleibt bisher ein Rätsel. Offenbar konnte sich Amri unbemerkt vom Tatort auf dem Weihnachtsmarkt entfernen. Überwachungsvideos einer Berliner Moschee in Moabit tauchten auf, die als Treffpunkt radikaler Islamisten gilt. Sie zeigen einen Mann in der Nacht nach dem Attentat. Kurz darauf meldete sich ein Mann, der sich auf dem Video erkannt hatte: Es ist nicht Anis Amri. Von Berlin aus flüchtete Amri über Frankreich nach Italien. Ob er vom Berliner Hauptbahnhof startete oder mit dem Bus reiste, ist unklar. Amri war schon während der Zeit in Deutschland viel gereist, er nutzte mehrere Identitäten, benutzte gefälschte Pässe.

Warum flüchtete er nach Mailand – und wie gelangte er dorthin?

Ob Amri nach Mailand wollte, oder die Stadt nur Durchgangsort seiner Flucht war, ist offen. Nur Szenarien sind denkbar: Amri kannte aus seiner Zeit in Haft Islamisten in Italien, wollte bei ihnen untertauchen. Oder Amri zielte darauf ab, von Mailand aus mit gefälschten Papieren per Fernbus nach Nordafrika zu gelangen – möglicherweise nach Marokko. Oder nach Libyen, um sich dort Einheiten des IS anzuschließen. Dass er in seine Heimat Tunesien fliehen wollte, ist unwahrscheinlich. Das Risiko wäre hoch gewesen, er wurde dort per Haftbefehl gesucht. Dass der Tunesier Helfer bei seiner Flucht nach Mailand hatte, ist bisher nicht bekannt.

Ist die Pistole, die man in Mailand bei Amri fand, die Waffe, mit der der polnische Lkw-Fahrer getötet wurde?

Laut italienischen Medienberichten soll die Waffe dieselbe sein. Die Sicherheitsbehörden bestätigen dies noch nicht. Mit Hilfe kriminaltechnischer Untersuchungen ist dies in den kommenden Tagen jedoch gut zu ermitteln, etwa durch Spuren, die durch den Lauf einer Waffe an den Patronen entstehen – eine Art Fingerabdruck einer Pistole.

War Amri schon an früheren
Anschlägen beteiligt?

Dafür gibt es keine Belege. Die Hamburger Polizei prüft derzeit, ob Amri auch einen 16-Jährigen im Oktober am Alsterufer ermordet hat. Der IS hatte den Mord für sich reklamiert, allerdings vage und ohne Täterwissen. Auch Hinweise auf Amri fehlen, lediglich die brutale Vorgehensweise würde dafür sprechen. Vielversprechende Spuren zu Tätern fehlen der Polizei bisher.

Plante Amri neuen Terror?

Auch dafür gibt es derzeit keine Hinweise. Es bleibt ein Rätsel, warum Amri nach dem Anschlag auf den Weihnachtsmarkt floh – und nicht weiter mordete, bis er im „Kampf“ gestorben wäre. Das jedenfalls ist eher typisch für Dschihadisten. Dass Amri sich nach Italien absetzte, wirft zumindest die Frage nach weiteren Gewalttaten auf.