Berlin. Drei Tage nach dem Anschlag ist der Weihnachtsmarkt an der Berliner Gedächtniskirche wieder geöffnet – besser gesichert als vorher

Keiner der Budenbesitzer scheint den Anfang machen zu wollen, als am Donnerstag der Weihnachtsmarkt auf dem Breitscheidplatz drei Tage nach dem Anschlag vom Montagabend wieder eröffnet wird. Es herrscht die gleiche bedrückte Ruhe, die seit der Tragödie über der Stadt liegt. Keine lauten Gespräche und auch keine Musik. Geräusche, die sonst im Advent wie eine kakophonische Schallglocke über dem Platz liegen.

Viele der Schausteller haben sich an diesem Mittwochmorgen um elf Uhr in der Gedächtniskirche eingefunden, wo Pfarrerin Dorothea Strauß eine Andacht für die Opfer und deren Familien hält. Kränze der Schausteller und der AG City liegen am Altar unter dem schwebenden goldenen Christus. „Nach diesem Terroranschlag können wir nicht einfach so zur Tagesordnung übergehen. Wir trauern“, sagt Strauß und lädt zum gemeinsamen Gebet. „Zum Zeichen dafür, dass der Hass nicht das letzte Wort hat, zum Zeichen dafür, dass wir zusammenstehen und zusammengehören, zum Zeichen dafür, dass wir nicht allein sind, lade ich sie ein, dass wir uns beim Segen an den Händen fassen“, so die Seelsorgerin.

Nach der Andacht tragen der Vorsitzende des Schausteller Berlin-Brandenburg, Michael Roden, sowie AG-City-Vorsitzender Klaus-Jürgen Meier zwei Tafeln aus der Kirche, die Luftbildaufnahmen des Weihnachtsmarkts vor dem Anschlag zeigen. „Wir sind immer noch fassungslos und tief schockiert. Unsere Gedanken sind bei den Verletzten und den Getöteten und bei ihren Familien“, teilte Roden bereits vor der Wiedereröffnung schriftlich mit. „Wie durch ein Wunder sind keine Opfer unter den Schaustellern zu beklagen, aber viele meiner Kollegen stehen unter Schock, weil sie das Attentat miterleben mussten und Erste Hilfe geleistet haben.“

Klaus-Jürgen Meier sagt auf die Frage, ob man den Weihnachtsmarkt nicht doch lieber ganz hätte schließen sollen: „Wir erfahren genau das Gegenteil, dass alle kommen und sagen: ,Jetzt erst recht‘“. Auch Bezirksbürgermeister Reinhard Naumann (SPD) entgegnet auf die Kritik: „Ich finde, dass wir diese sicher nicht leichte Entscheidung der Schausteller und der AG City respektieren müssen. Sie ist auch ein Brückenschlag zurück ins Leben.“

Aufgestellt werden die Tafeln als Orte zum Gedenken. An zwei Stellen, an denen auf diesem Weihnachtsmarkt keine Buden mehr stehen. Hier hatte der Attentäter bei seiner blutigen Fahrt mit dem Lastwagen am Montag die schwersten Verwüstungen angerichtet. Menschen stellen Kerzen und Blumen um die Tafeln herum auf. Viele halten sich weinend oder tröstend gegenseitig in den Armen.

Auch viele der Händler wirken an diesem Mittwochmorgen sichtlich bewegt. Einige haben Tränen in den Augen, reden wollten die meisten nicht über das Attentat, das einige von ihnen am Montag fast hautnah miterlebt haben. „Das Leben muss weitergehen“, sagt ein Kerzenverkäufer. Eine benachbarte Mützenhändlerin schluckt merklich, sagt dann aber: „Nein, Angst habe ich keine, ich bin eher zornig.“ Ingrid Helling, die seit Jahren an einem Stand direkt an der Kirche Glühwein verkauft, fasst zusammen, was wohl die meisten ihrer Kollegen bewegt: „Ich bin traurig, erschüttert und wütend. Es ist nicht schön, so etwas noch mit 68 Jahren zu erleben. Ich hatte aber immer Angst, dass so etwas einmal passiert.“

Auch wenn die Holzhütten wieder geöffnet sind, wieder der Duft von Bratwürsten, Zuckermandeln und Glühwein in der Luft liegt, hat sich einiges verändert. Aus Pietätsgründen wird auf dem Weihnachtsmarkt auf grelle Beleuchtung und Partymusik verzichtet. „Weihnachtslieder werden aber gespielt“, sagt die Sprecherin der Schausteller, Friederike Bath.

Dort, wo der LKW seine Todesfahrt begann, stehen nun vier Meter lange und einen Meter hohe Betonwände, die die Elektro-Motorsportserie Formel E der Stadt unentgeltlich zur Verfügung gestellt hat. Die Betonelemente, die sonst für die Streckenbegrenzung für den Berlin ePrix auf der Karl-Marx-Allee vorgesehen sind, sollen nun die Weihnachtsmärkte und auch die Silvesterfeier am Brandenburger Tor schützen.

Die Elemente mit einem Einzelgewicht von vier Tonnen wurden eigens für die Sicherung der Rennstrecke hergestellt und zuletzt in Köpenick eingelagert. Den Aufbau haben Polizei, Feuerwehr und Technisches Hilfswerk übernommen. „Wir haben dabei natürlich auch daran gedacht, die Wege für Rettungsfahrzeuge offen zu lassen“, sagt Stefan Fleischer von der Berliner Feuerwehr.

Das Kinderkarussell steht noch still

Auch die evangelische Berliner Generalsuperintendentin Ulrike Trautwein ist am Donnerstag vor Ort. „Das ist meine Predigtkirche“, sagt sie. Die Schausteller vom Weihnachtsmarkt seien entsetzt, dass viele Selfies vom Anschlagsort gemacht würden, und wünschten sich mehr Zurückhaltung, sagt sie: „Sie finden das pietätlos.“ Die Ruhe, mit der in Berlin mit dem Anschlag umgegangen werde, beeindrucke sie, sagt die Theologin. Und dass zugleich deutlich zu spüren sei, dass die Menschen „bewegt und berührt sind“.

Das Kinderkarussell am Ende der Weihnachtsmarktgasse, in die der Lkw fuhr, steht noch still. „Sonst ist in der Woche um die Zeit mehr los“, sagt der Mann, der „Heider’s Flying Star“ bedient. Auch ihm ist die Erschütterung über die Gewalttat anzusehen. Der Betrieb ist seit dem ersten Weihnachtsmarkt an der Gedächtniskirche vor 33 Jahren dabei. Wenn Kinder kommen, soll das Karussell wieder laufen, auch er ist auf die Einnahmen angewiesen. „Wenn der Pole nicht eingegriffen hätte, wäre der Lkw ins Karussell gefahren“, sagt der Mann noch: „Da waren noch Kinder drauf.“