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Das Grauen von Aleppo geht weiter. Der Abtransport der Menschen aus der Rebellenenklave im Osten der Stadt ist nach nur 24 Stunden gestoppt worden. Zuvor hatten Bewaffnete einen Konvoi durch Gewehrfeuer an der Weiterfahrt gehindert.

Syriens Regierung und Gegner von Machthaber Baschar al-Assad beschuldigten sich gegenseitig, auf die Busse und Krankenwagen geschossen zu haben. „Die Evakuierung ist beendet“, erklärte das russische Verteidigungsministerium, dessen Soldaten den Einsatz überwachen. Mehr als 4500 Kämpfer und 337 Verwundete seien aus Ost-Aleppo gebracht worden, sagte ein Sprecher. Insgesamt seien mehr als 9500 Zivilisten abtransportiert worden – alle, die das gewollt hätten. Fast alle Kämpfer wurden in die nordsyrische Stadt Idlib gefahren. Die Stadt ist die letzte größere Hochburg der Rebellen.

Der türkische Außenminister, dessen Regierung mit dem Kreml den Evakuierungsplan ausgehandelt hatte, widersprach der Darstellung Moskaus: Viele Familien würden noch darauf warten, gerettet zu werden. Auf Anordnung russischer Truppen mussten am Freitag alle Mitarbeiter von Hilfsorganisationen Ost-Aleppo verlassen. „Ich habe noch nie ein solches Ausmaß an menschlichem Leid gesehen“, berichtete die Leiterin der Syrienmission des Internationalen Komitees vom Roten Kreuz, Marianne Gasser. „Es ist schwer zu fassen, wie Menschen so etwas überleben konnten.“ Männer, Frauen und Kinder übernachten bei Kälte und Regen in den Trümmern, die meisten haben seit Tagen nichts gegessen. Andere hausen zu Hunderten in Ruinen.

Weltweit wächst nun die Befürchtung, das Regime in Damaskus könnte nach dem Abzug der Rebellen Rache an der noch verbliebenen Zivilbevölkerung in Ost-Aleppo nehmen. Zudem grassiert die Angst, dass die verbliebene Rebellen-Hochburg Idlib zum nächsten großen Kriegsschauplatz werden könnte. „Ohne politische Lösung oder einen Waffenstillstand wird Idlib das nächste Aleppo“, warnte UN-Vermittler Staffan de Mistura.

Befeuert wird diese Sorge durch Äußerungen Assads. Er hatte in einem Interview mit der russischen Zeitung „Komsomolskaja Prawda“ angekündigt, die Eroberung Aleppos werde seiner Armee ein Sprungbrett zur Befreiung des ganzen Landes verschaffen. Es gehe darum, die Provinz Idlib zu „säubern“. „Wir müssen die Terroristen in die Türkei zurückdrängen, wo sie herkommen, oder sie liquidieren“, sagte Assad. In der Sprachregelung der syrischen Regierung sind alle Gegner des Regimes „Terroristen“ – ganz gleich, ob sie säkulare oder islamistische Ziele verfolgen.

Der russische Präsident Wladimir Putin setzt auf ein neues Format von Syrien-Gesprächen mit der Türkei als Schutzmacht der Opposition. Russland versuche, die syrische Regierung dafür zu gewinnen, die Türkei wiederum spreche mit den Gegnern von Präsident Baschar al-Assad. Das habe er mit dem türkischen Staatschef Recep Tayyip Erdogan vereinbart, sagte Putin am Freitag bei einem Besuch in Tokio. Die Treffen könnten in Kasachstan stattfinden. „Diese Plattform soll nicht mit der in Genf konkurrieren, sondern die Genfer Gespräche ergänzen“, sagte Putin russischen Agenturen zufolge. Die Friedensverhandlungen in der Schweiz unter der Schirmherrschaft der Vereinten Nationen stecken seit Monaten fest.