Aleppo/Kairo. Die Truppen des syrischen Machthabers Assad haben die Stadt eingenommen. Dürfen Zivilisten und verbliebene Kämpfer abziehen?

Die Aufständischen sind am Ende – und schöpfen seit einigen Stunden doch wieder Hoffnung. Wer noch lebt, schickte in den letzten Tagen per Twitter, Whatsapp oder Facebook letzte Abschiedsworte an Freunde und Familie. „Ich warte darauf, zu sterben oder vom Assad-Regime gefangen zu werden“, schrieb der Fotograf Ameen al-Halabi. „Betet für mich und erinnert euch immer an uns.“ Menschen sind unter zerbombten Ruinen eingeklemmt und schreien um Hilfe. Die Weißhelme jedoch können nichts mehr tun. Die Fahrzeuge sind zerstört, die Retter in alle Winde zerstreut. „Unser Schicksal ist besiegelt“, erklärte der Sprecher der Zivilschützer.

Möglicherweise nicht ganz – am Dienstagabend gab es einen Hoffnungsschimmer für die hungernden und frierenden Eingeschlossenen, doch noch lebend aus der Hölle herauszukommen. Der russische UN-Botschafter Witali Tschurkin bestätigte auf der Sitzung des Sicherheitsrates zu Aleppo, es gebe zwischen Damaskus und den Rebellen eine Einigung zum Abzug der Zivilisten und verbliebenen Kämpfer, der „in den nächsten Stunden“ erfolgen solle. Wie ein Sprecher der Aufständischen präzisierte, sollen alle Evakuierten wählen können, ob sie in die vom Regime kontrollierte Provinz Aleppo oder in die von Aufständischen beherrschte Region um Idlib gehen wollen.

Die USA verlangten, internationale Beobachter müssten die Aktion überwachen. Vonseiten des Regimes fehlt bisher eine offizielle Bestätigung. Ähnliche Evakuierungsabkommen jedoch hatte es in der Vergangenheit bereits für Daraya nahe Damaskus und für Homs gegeben.

Ungeachtet dessen gehen die angreifenden Assad-Truppen gegen die verbliebenen Zivilisten in Aleppo mit äußerster Brutalität vor, durchkämmen systematisch die frisch eroberten Viertel. Nach Angaben des UN-Hochkommissars für Menschenrechte haben sie in den letzten 48 Stunden bereits 82 Menschen exekutiert, darunter auch Frauen und Kinder. Aktivisten vor Ort sprechen sogar von 180 bis 200 Hingerichteten. „Wir sind von der Landkarte der Menschheit getilgt“, twitterte einer der Helfer. Die Informationen seien glaubwürdig und man kenne die Namen der Opfer, erklärte UN-Sprecher Rupert Colville in Genf. Man habe Berichte erhalten, „dass Pro-Assad-Kräfte in Wohnungen eindringen und alle töten, die sie vorfinden“, sagte er. Andere hätte zunächst fliehen können, seien dann offenbar eingeholt, verhaftet oder auf der Stelle erschossen worden.

Die syrische Armee mit ihren verbündeten Milizionären hat mittlerweile nahezu den kompletten Osten Aleppos zurückerobert, was Bewohner der Pro-Assad-Bezirke mit Schokolade und Gewehrsalven feierten. Dagegen drängen sich in den letzten noch verbliebenen Straßenzügen der Aufständischen mindestens 100.000 Menschen, die sich weigern, in den vom Regime kontrollierten Westen zu gehen. 130.000 der schätzungsweise 250.000 umzingelten Bewohner waren in den letzten beiden Wochen in den Assad-Teil Aleppos geflohen.

Unterdessen wurden nach einem Bericht der Hilfsorganisation „Union of Medical Care and Relief Organizations“ (UOSSM) am Montag nahe der zentralsyrischen Stadt Hama bei einem Giftgasangriff 93 Zivilisten getötet und mehr als 300 verwundet. Kampfjets sollen am frühen Morgen Bomben auf mehrere Dörfer abgeworfen haben, die von der Terrormiliz „Islamischer Staat“ kontrolliert werden. Der Angriff mit einer geruchs- und farblosen Chemikalie habe sich östlich von Hama ereignet, teilte die Organisation mit. Viele Opfer seien Kinder. Die meisten seien sehr schnell gestorben, die Leichen hätten Schaum vor dem Mund und keinerlei äußere Verletzungen.