Aleppo/Beirut. Zehntausende Menschen sind auf der Flucht vor Kämpfen und Hunger. Hunderte Männer offenbar spurlos verschwunden

Ungeachtet russischer Angaben über eine Kampfpause setzt die syrische Armee ihre Offensive in Aleppo fort. Russland und die USA führten über eine Waffenruhe zwar Gespräche, eine Einigung zeichnet sich nach Einschätzung von Diplomaten aber nicht ab. Der russische Außenminister Sergej Lawrow hatte am Donnerstagabend laut Nachrichtenagentur RIA erklärt, die syrische Armee habe seine „aktiven Einsätze“ gestoppt, damit Zivilisten und Verletzte in Sicherheit gebracht werden könnten.

Den Angaben wurde umgehend widersprochen. Sowohl in der Nacht als auch am Freitagmorgen habe es Luftangriffe und Gefechte am Boden gegeben, erklärten Aufständische. Wohngebiete würden mit Brand- und Fassbomben aus der Luft angegriffen und mit Artillerie beschossen. Die oppositionsnahe Beobachtungsstelle für Menschenrechte berichtete über Raketenangriffe bis in die Morgenstunden.

Die syrische Armee hat die Rebellen in Aleppo in den vergangenen zwei Wochen immer weiter zurückgedrängt. Nach russischen Angaben haben sie etwa 93 Prozent des einst von den Aufständischen kontrollierten Gebiets im Osten der Stadt eingenommen. Die heftigen Kämpfe verschlimmerten das Leid der eingeschlossenen Bevölkerung. Nach UN-Schätzungen sitzen etwa 100.000 Zivilisten im Rebellengebiet fest. Lebensmittelvorräte sind aufgebraucht, die medizinische Versorgung ist zusammengebrochen.

Die russischen Streitkräfte teilten am Freitag mit, sie hätten innerhalb von 24 Stunden 8000 Zivilisten geholfen, aus den Rebellengebieten zu flüchten, darunter fast 3000 Kinder. Zudem hätten sich 14 Aufständische syrischen Truppen ergeben. Sie seien in den von syrischen Soldaten kontrollierten Westen Aleppos übergelaufen und begnadigt worden.

Der Sprecher der UN-Menschenrechtskommission, Rupert Colville, verwies jedoch auf Berichte, wonach Hunderte Männer auf dem Weg vom Rebellengebiet in regierungskontrollierte Teile spurlos verschwanden. Colville erklärte, die Familien der verschwundenen Männer hätten seit Tagen nichts von ihnen gehört. Die Männer seien zwischen 30 und 50 Jahre alt. Die UN hätten außerdem Berichte erhalten, dass bewaffnete Oppositionsgruppen auf fliehende Zivilisten geschossen hätten. Zugleich gebe es Berichte, dass Rebellen einige Zivilisten daran gehindert hätten, in sichere Gebiete zu flüchten. Sollte dies zutreffen, könnte es sich um Kriegsverbrechen handeln. Die al-Qaida-nahe Fatah-al-Scham-Front sowie eine weitere radikale Miliz sollen zudem eine unbekannte Zahl an Zivilisten verschleppt und getötet haben, nachdem diese um den Abzug der Gruppen gebeten hatten.

Die UN-Vollversammlung hat sich am Freitag mit großer Mehrheit für eine Waffenruhe in Syrien und ein Ende aller Belagerungen ausgesprochen. Die Resolution ist aber nicht bindend.