Schiphol.

Er hatte seinen Prozess boykottieren wollen, weil er ein politischer sei. Doch für ein letztes Wort nutzte Geert Wilders die Bühne doch. Der niederländische Rechtsnationalist, angeklagt wegen Diskriminierung, Beleidigung einer Volksgruppe und Anstiftung zum Hass, mahnte die Richter: „Wenn Sie über mich richten, richten Sie über Millionen Menschen.“ Heute wird das Urteil in Den Haag gesprochen – und wie es auch ausfällt, es wird Wilders wohl nutzen.

6474 Anzeigen waren eingegangen nach jenem Märzabend 2014, als der Vorsitzende der Freiheitspartei (PVV) nach der Kommunalwahl in Den Haag das Wort an seine Anhänger richtete: „Wollt ihr mehr oder weniger Marokkaner?“, fragte Geert Wilders in die schon aufgeheizte Menge. „Weniger, (minder)“!, rief die, 16-mal. Der blonde Mann vorn lächelte: „Dann werden wir das regeln.“ Zweieinhalb Jahre hat der Staatsanwalt danach ermittelt, der Prozess fiel nun mitten in den Wahlkampf: Die Niederländer wählen im März ihr Parlament neu, in Umfragen führt – Geert Wilders mit seiner Partei für die Freiheit.

Für die will er kämpfen, sagte der 53-Jährige vor Gericht: „Die Niederlande sind Freiheit. Auch für Menschen, die eine andere Meinung haben.“ Nämlich die, dass es ein „Mega-Marokkanerproblem“ im Land gebe, vor dem man warnen müsse. Für Wilders sind zu viele der 380.000 Menschen mit marokkanischen Wurzeln in den Niederlanden kriminell, missbrauchen das Asylrecht, beziehen Sozialhilfe. „Ganze Stadtteile“, klagte er vor Gericht, würden von marokkanischen Banden „terrorisiert“. Seit seinem „Minder, minder!“-Ausruf, dem laut einer späteren Umfrage 43 Prozent der Niederländer zustimmen, sollen Marokkaner auf der Straße angefeindet, besonders Kinder beschimpft worden sein, berichten Zeugen.

Wilders aber will an jenem Abend in Den Haag lediglich eine Frage gestellt haben. „Und es ist mein Recht als Politiker, meine Meinung zu sagen, wenn es ein Problem gibt.“ Wäre das strafbar, seien die Niederlande keine Demokratie mehr, sondern eine Diktatur. „Ich bin kein Rassist“, behauptete Wilders im Prozess. „Und meine Wähler sind auch keine Rassisten.“

Wohl sind sie Gegner der muslimischen Zuwanderer. Im Wahlprogramm der PVV steht klar: „Millionen Niederländer haben die Islamisierung unseres Landes satt.“ Gegen Terror, Gewalt und Unsicherheit will Geert Wilders das Geld lieber „normalen Niederländern geben“, Moscheen schließen, den Koran verbieten, keine Einwanderer aus muslimischen Ländern mehr aufnehmen und bereits erteilte Aufenthaltserlaubnisse einziehen. Mit diesen Forderungen erntet die Freiheitspartei, deren Fraktionschef Wilders ebenfalls ist, immer mehr Zulauf. Zuletzt forderte er gegenüber einer Zeitung, marokkanische Asylbewerber sofort in Bussen über die Grenze zu bringen: „Nach Belgien oder Deutschland.“

Das alles müsse man sagen dürfen, findet der Angeklagte. „Die Freiheit der Meinungsäußerung ist die einzige Freiheit, die ich noch habe.“ Wer ihn stoppen wolle, „müsste mich erst ermorden“. Das ist eine zynische Anspielung auf Pim Fortuyn, der in den Niederlanden eine ähnlich rechtspopulistische Partei gegründet hatte. Er wurde 2002 von einem Aktivisten niedergeschossen, bei den Wahlen wenige Tage später eroberte seine Partei auf Anhieb 26 Sitze. Wilders gilt nach Morddrohungen als bestgeschützter Mann in den Niederlanden; der Gerichtssaal in einem Bunker des Justizgebäudes bei Amsterdam ist schwer gesichert.

Eine Verurteilung am heutigen Freitag, und sei es nur zu einer Geldstrafe von 5000 Euro, die der Staatsanwalt fordert, würde ihm Aufmerksamkeit bringen – und die Stimmen derer, die seiner Meinung sind, in ihm ein Opfer sehen und den Beweis dafür, dass die Meinungsfreiheit in ihrem liberalen Land nichts mehr wert ist.

Aber auch ein Freispruch könnte Wilders helfen: Er sähe seinen Vorwurf der „Hexenjagd“ bestätigt und das Recht endgültig auf seiner Seite. Beobachter rechnen zwar damit, dass die Ankläger in Berufung gehen würden, aber auch das könnte weitere Wahlwerbung für den PVV-Mann bedeuten. Trotzdem hoffen viele Menschen auf diesen Ausgang der Verhandlung: weil sie finden, dass die politische Auseinandersetzung nicht in einen Gerichts-, sondern in einen Parlamentssaal gehört.

Geert Wilders, der Mann, der sich wehren wollte gegen einen politischen Prozess, bemühte in seinem letzten Wort selbst die große Politik: „Sie urteilen“, rief er den Richtern zu, „über die Zukunft der Niederlande.“