Washington.

Es kann schon am Nachmittag des 20. Januar nächsten Jahres passieren. Kurz nach der Einführung ins Amt auf den Treppen des Kapitols in Washington vor Zehntausenden müssen Hillary Clinton oder Donald Trump Entscheidungen über Leben und Tod, Krieg und Frieden treffen. Von Tag eins an ist der neue Präsident Amerikas per Definition Oberbefehlshaber über die größte Streitmacht der Erde.

In acht Jahren Barack Obama ist die Welt keine friedlichere geworden. In vielen Regionen schwelen Konflikte. Oder sind längst ausgebrochen. Innen- wie außenpolitisch erwartet Clinton oder Trump eine Vielzahl von Pro­blemen, die angepackt werden müssen:

Syrien/Irak: Der Kampf gegen das dschihadistische Terror-Netzwerk „Islamischer Staat“ (IS) im Irak und in Syrien geht ununterbrochen weiter. Trotz militärischer Fortschritte – etwa beim Vormarsch auf Mossul – ist die Bedrohung alles andere als gebannt. Die Frage ist, ob sich die USA weiter auf Luftschläge, Drohnen-Einsätze, Militärhilfe und Spezialkommandos beschränken.

Auf Clinton oder Trump könnte der internationale Druck wachsen, das Sterben der Zivilbevölkerung in Syrien zu beenden. Maßgeblich mitverursacht wurde dies durch die Truppen von Syriens Präsident Baschar al-Assad und seinen Helfern aus Russland.

Gleichzeitig steigt die Sorge vor militärisch geschulten Rückkehrern mit IS-Vergangenheit. Der Chef der Bundespolizei FBI, James Comey, malte zuletzt ein Horror-Gemälde an die Wand. Hunderte Radikal-Islamisten könnten versucht sein, den Westen durch Attentate wie in Paris und Brüssel zu destabilisieren. Auf die Geheimdienste komme eine Herkules-Aufgabe zu, um Rache-Akte zu verhindern. Ein Ausbau des ohnehin schon gewaltigen Sicherheitsapparats in den USA ist wahrscheinlich.

Russland: Nach den völkerrechtlich illegitimen Interventionen auf der Krim und in der Ostukraine durch Russland, nach der massiven militärischen Unterstützung für den syrischen Diktator Assad gilt das Verhältnis zwischen Washington und Moskau als zerrüttet. Aber Präsident Wladimir Putin hat sich am geopolitischen Spieltisch mit ausreichend Jetons versorgt, um Amerika weiter zu ärgern. Seine Ambitionen reichen so weit, die USA mit fortgesetzten Cyber-Attacken in Verlegenheit zu bringen. US-Unternehmen (siehe Microsoft) geraten ins Visier des Kremls.

Clinton oder Trump werden andere Wege zwischen Konfrontation und Eindämmung einerseits aber auch verstärkter Kooperation und Abstimmung andererseits (Klimaschutz, internationaler Terrorismus) finden müssen, ohne dabei fahrlässig eine militärische Auseinandersetzung zu riskieren.

Iran: In der Amtszeit der neuen Präsidentin oder des neuen Präsidenten wird sich zeigen, was der Atom-Deal mit Teheran wirklich wert ist. Bricht das Mullah-Regime seine Verpflichtungen und baut doch heimlich an der Bombe, stehen die Zeichen auf Eskalation. Wenn nicht, wird Teheran infolge aufgehobener Sanktionen wirtschaftlich florieren und seine hegemonialen Ansprüche in der Region gerade gegenüber Saudi-Arabien untermauern.

Weil Teheran bisher keine Anstalten gemacht hat, seine Politik der Provokation der Nachbarn und der westlichen Staaten zu stoppen, könnte Clinton oder Trump schon bald eine Kraftprobe drohen. Zumal dann, wenn der Iran in Syrien wie auch insgesamt im Nahen Osten weiter als Unruhestifter und Terror-Finanzier unterwegs ist.

China: Der Riese in Fernost stellt die jahrzehntealte Dominanz Amerikas in Ost-Asien immer stärker auf die Probe. Symbolisch steht dafür der nicht beigelegte Streit um zum Teil künstliche Inselgruppen im Südchinesischen Meer. Peking beansprucht Hausrecht. Washington sieht sich, auch gegenüber den kleineren Ländern in der Region, als Garant für freie Seewege.

Militärische Muskelspiele durch kreuzende Flugzeugträger und Kampfjets, die bedrohlich nah kommen, könnten für zusätzliche Risiken sorgen. Strategisches Geschick, eine Vision, die nuanciert zwischen Konfrontation und stiller Diplomatie liegt, wird gebraucht.

Auch mit Blick auf die wachsende Rolle Chinas als Großmacht, die ihre Cyber-Expertise nicht nur als Mittel der Wirtschaftsförderung einsetzt. Dabei wird es für Clinton oder Trump darauf ankommen, den Bogen nicht zu überspannen und Peking auf Augenhöhe zu begegnen. Washington braucht Peking mehr als umgekehrt. China ist der größte Gläubiger von US-Schulden und der größte Absatzmarkt für US-Güter.

Nordkorea: Seit Diktator Kim Jong-un die Schlagzahl beim Bau von Atomwaffen genauso erhöht hat wie die Frequenz bei Raketentests, die gegen internationale Abkommen verstoßen, weiß man in den USA: Die Bedrohung durch die in künstlicher Steinzeit gehaltene Kommunismus-Enklave wird nicht einfach von selbst verschwinden.

Nordkoreanische Raketen werden nach Einschätzung von Experten binnen der nächsten vier Jahre Reichweiten bis nach Amerika haben. Außerdem könnte Kim Jong-un versucht sein, sich durch Angriffe gegen Nachbar Südkorea oder Japan Geltung zu verschaffen.

Rassismus: Mit Obama, dem ersten Afroamerikaner im Amt, waren Hoffnungen auf einen Abbau der historisch tief verwurzelten Rassenkonflikte verbunden. Sie haben sich nicht erfüllt. Die soziale und wirtschaftliche Lage eines großen Teils der schwarzen Bevölkerung hat sich nicht verbessert.

In Umfragen wird der Graben zwischen Weißen auf der einen und Schwarzen sowie Latinos auf der anderen Seite als so „tief wie seit Langem nicht“ beschrieben. Gewalttaten gegen Schwarze – etwa der neunfache Kirchenmord von Charleston – und die zuletzt grassierenden tödlichen Polizeieinsätze haben das Misstrauen verstärkt. Clinton oder Trump wird das aufgeheizte Klima beruhigen müssen. Auch durch eine Reform des Strafrechts, das überproportional viele Schwarze teilweise für Bagatelldelikte jahrelang hinter Gitter bringt.

Krankenversicherung: Obwohl durch „Obamacare“ rund 20 Millionen Amerikaner, die bisher nicht krankenversichert waren, in den Genuss einer staatlich bezuschussten Absicherung gekommen sind, ist das Jahrhundert-Projekt der größte innenpolitische Zankapfel.

Millionen stöhnen unter rapide gestiegenen Beiträgen, Versicherungen verabschieden sich aus dem Verbund. Clinton oder Trump muss die aus dem Ruder laufende Entwicklung stoppen, bevor das ganze System implodiert. Die Republikaner im Kongress wollen es partout zu Fall bringen.

Wirtschaft: Als Obama 2009 anfing, steckten die USA in einer dramatischen Krise, ausgelöst durch den Teilkollaps mehrerer Banken. Mit einem Konjunkturprogramm und Staatshilfen in dreistelliger Milliardenhöhe stabilisierte die Regierung die Lage. Die amtliche Arbeitslosenquote ist seither von über zehn auf 4,9 Prozent gefallen. Allerdings sind Millionen Menschen von der Statistik nicht mehr erfasst.

Viele Haushalte stagnieren bei den Einkommen. Unterdessen mehren die Reichen, die ihr Kapital für sich arbeiten lassen, den Wohlstand. Die auseinandergehende Schere war im Wahlkampf der Hit des demokratischen Kandidaten Bernie Sanders. Die neue Nummer 1 wird dem Rechnung tragen müssen.