Berlin. Vor allem Grüne nutzen den Meldungsdienst Twitter für politische Botschaften. Die meisten Fans aber hat Kanzleramtsminister Altmaier

„Leute, ihr könnt in Ruhe Fußball gucken. Wahlgang hat geklappt.“ Damit verkündete die damalige CDU-Bundestagsabgeordnete Julia Klöckner bei der Bundesversammlung 2009 vor dem offiziellen Ende der Auszählung die Wahl Horst Köhlers zum Bundespräsidenten – und verletzte damit das Protokoll. Die vom Mobiltelefon abgesetzte Kurznachricht ging als „Twitter-Affäre“ in die Geschichte des Bundestages ein, Klöckner gab ihr Amt als Schriftführerin ab.

140 Zeichen, so lang ist eine Twitter-Botschaft maximal. Doch ein solcher „Tweet“ kann es in sich haben. Er kann in der Politik über Karrieren entscheiden. Die Forscher des Instituts der deutschen Wirtschaft Köln (IW) haben jetzt die Twitter-Gewohnheiten der Bundestagsabgeordneten untersucht.

Der Studie zufolge, die dieser Redaktion vorliegt, hat mehr als die Hälfte der deutschen Bundestagsabgeordneten einen Twitter-Account. Vor allem die Grünen zwitschern eifrig: Mehr als 90 Prozent ihrer Bundestagsabgeordneten sind bei Twitter angemeldet. Bei CDU und CSU sind bislang nur 44 Prozent bei dem Kurznachrichtendienst aktiv. Ein Grünen-Politiker hat im Durchschnitt rund 9200 Follower, also Interessierte, die ihm folgen. Die SPD-Abgeordneten haben im Schnitt nur 3900 Follower.

Die Forscher stellten fest, dass die Popularität eines Politikers nicht von der Menge seiner Tweets abhängt, sondern von dem, was er inhaltlich mitteilt. „Der Politiker muss sich für eine Strategie entscheiden“, sagt die IW-Forscherin Vera Demary. „Entweder er stellt sich als Mensch dar und twittert viel Persönliches. Oder als Politiker, der strategische Tweets absetzt, die seine inhaltliche Ausrichtung unterstützen.“ Quantität ist also nicht gleich Qualität.

Deutlich wird das am Beispiel von Peter Altmaier. Der CDU-Politiker, dem inzwischen sagenhafte 129.746 Menschen folgen, entdeckte Twitter im September 2011 und wurde zum Fan. Der Kanzleramtsminister zeichne sich in seinen Tweets dadurch aus, schreiben die IW-Forscher, dass er „nicht nur politische Entwicklungen reflektiert, sondern auch gerne Mitteilungen über andere Themen wie Sport twittert.“ Und das auch noch dreisprachig.

„Nach unserer Auswertung sind Politiker, die Twitter strategisch für ihre Inhalte nutzen, erfolgreicher als die, die nur Privates mitteilen“, erklärt Studienautorin Demary. Die Linke-Fraktionschefin Sahra Wagenknecht etwa liegt hinter ihrem Fraktionskollegen Gregor Gysi auf Platz drei der Follower-Rangliste. Sie hat bislang nur rund 590 Tweets verfasst. Ihr folgen aber knapp 105.500 Menschen. Der Grünen-Politiker Volker Beck dagegen kommt auf stolze 46.466 Tweets – trotzdem haben ihn nur knapp mehr als 68.000 Nutzer abonniert.

Interessant für Nutzer von Twitter sind vor allem Mitteilungen, die großes Aufsehen erregen. Auch hier liegt Peter Altmaier vorn. Ein Tweet von ihm sorgte auf dem Höhepunkt der Affäre um den damaligen Bundespräsidenten Christian Wulff für Aufregung: Altmaier, einer der wenigen engen Vertraute von Bundeskanzlerin Angela Merkel, die selbst nicht twittert, schrieb: „Ich mach mich jetzt vom Acker. Wünsche mir, dass Christian seine Anwälte an die Leine legt und die Fragen/Antworten ins Netz stellt.“ Damit war er Wulff öffentlich in den Rücken gefallen, hatte als Parteikollege Aufklärung in der Debatte um die Gewährung von Vorteilen gefordert. Und das in 140 Zeichen.

SPD-Chef Sigmar Gabriel erntete Lob für seine Haltung

Nutzer schätzen es, wenn Politiker Haltung zeigen. SPD-Chef Sigmar Gabriel etwa hatte mit der Verteidigung der Vorratsdatenspeicherung einen Proteststurm über sich ergehen lassen müssen. Er lieferte sich einen Schlagabtausch mit Nutzern – und erntete Lob. Ein Twitterer schrieb: „Teile kaum eine Ihrer Ansichten. Finde aber gut, dass Ihr Auftritt hier nicht anbiedernd, sondern authentisch & kämpferisch ist.“

Doch man kann sich als Politiker auch um Kopf und Kragen twittern. So wie etwa die Leipziger CDU-Abgeordneten Bettina Kudla, die den Nazi-Begriff „Umvolkung“ verwandte und den türkischen Regierungskritiker Can Dündar als „Cansel Dünnschiss“ titulierte.

Unionsfraktionsgeschäftsführer Michael Grosse-Brömer (CDU), der selbst twittert und Journalisten gerne öffentlich antwortet, kommentierte daraufhin: „Wir haben ja mit der Möglichkeit des Twitterns auch neue Herausforderungen.“ Das gilt auch für seine Fraktionskollegin Erika Steinbach, die bei Twitter regelmäßig gegen die Flüchtlingspolitik von Merkel wettert und sich dabei an den rechten Grenzen des politischen Spektrums bewegt.

Ins sportliche Aus zwitscherte sich der bayerische Finanzminister Markus Söder. Nach dem EM-Viertelfinale-Sieg gegen Italien hieß es auf seinem Account: „Nie mehr Elfer für Özil. Künftig Elfer nur noch durch junge Spieler.“ Damit stieß er auf sehr wenig Begeisterung. Generell aber zählt Deutschland zu den Twitter-Entwicklungsländern. Von den 82 Millionen Bundesbürgern sind lediglich 12 Millionen in diesem Social-Media-Kanal unterwegs. Zum Vergleich: In den USA gibt es 66 Millionen Twitter-Nutzer bei rund 320 Millionen Einwohnern. Immerhin habe sich hierzulande aber das Nachrichtenaufkommen gesteigert. Gab es 2013 rund 3,8 Millionen deutsche Tweets pro Monat, waren es 2015 schon mehr als 30 Millionen, so die IW-Forscher

Altmaier nutzt den Dienst auch für selbstironische Späße. So schrieb der gewichtige Politiker über einen Besuch mit dem ebenfalls nicht leichtgewichtigen Sigmar Gabriel im Atomendlager Asse: „Das Beste: Der Förderkorb hat gehalten.“