Washington. . Wer die Mehrheit der Wahlmänner hinter sich hat, gewinnt. Nur wenige Bundesstaaten sind wirklich wichtig

Sie gehört zu den hartnäckigen Irrtümern im milliardenschweren amerikanischen Demokratieprozess: die Annahme, das Volk wähle den Präsidenten oder die Präsidentin direkt und unmittelbar. Die Wahrheit heißt „Electoral College“. Gemeint ist ein aus Vertretern aller 50 Bundesstaaten zusammengesetztes Gremium, das im Dezember auf Basis des Urnengangs vom 8. November zusammenkommt. Hier und nur hier entscheiden am Ende 538 Männer und Frauen, wer den Generalschlüssel zum Weißen Haus bekommt.

Der Sieger benötigt 270 Stimmen. In 48 Bundesstaaten ist die Sache einfach. Wer dort die Mehrheit der Stimmen („Popular Vote“) bekommt, vereinigt nach dem Prinzip „The winner takes all“ (Der Gewinner bekommt alles) auch sämtliche Wahlleute des betreffenden Bundesstaates auf sich. Also zum Beispiel 55 Stimmen aus dem bevölkerungsreichsten US-Bundesstaat Kalifornien. Oder drei aus dem fast menschenleeren Wyoming. Nur in Nebraska und Maine können die Stimmen zwischen den Kandidaten aufgeteilt werden.

In den meisten Staaten ist die Wahl bereits entschieden

Weil es viele Bundesstaaten gibt, in denen seit Jahrzehnten traditionell die Republikaner dominieren (etwa im Mittleren Westen), während die Demokraten an den beiden Küsten meist die Nase vorn haben, steht das Ergebnis in über 30 Bundesstaaten bereits so gut wie fest. Entschieden werden Präsidentschaftswahlen in den „Schlachtfeld-Staaten“ (Battle Ground States), in denen mal die Roten (Republikaner) und mal die Blauen (Demokraten) gewinnen. Aktuell weisen die Analysten auf Basis von Umfragen aus, dass die Lage nach der spektakulären Intervention des FBI in der E-Mail-Affäre Hillary Clintons in 20 Bundesstaaten volatil ist. Besonders umkämpft sind Florida (29 Wahlmänner), Pennsylvania (20), Ohio (18) und North Carolina (15).

Unterm Strich wird der Demokratin Hillary Clinton trotz des jüngsten Skandals um die neuen Ermittlungen durch das FBI weiter eine größere Siegchance eingeräumt. Nach Angaben des Portals „realclearpolitics“, das täglich die Mittelwerte aller seriösen Umfragen berechnet, hatte die 69-Jährige zuletzt – Stand 6. November – 216 Wahlmänner hinter sich. Trump kommt auf 164. Das bedeutet: 158 Stimmen sind umkämpft.

Mit Ergebnissen bei der Präsidentenwahl wird am Mittwochmorgen zwischen fünf und sieben Uhr deutscher Zeit gerechnet. Ausschlaggebend ist am heutigen Wahltag, welcher Kandidat am stärksten die Wähler mobilisieren kann. Sind die Verhältnisse nach dem Urnengang eindeutig, spiegelt sich das im Wahlmännergremium wider: 2008 erzielte Amtsinhaber Barack Obama 52,9 Prozent der Stimmen, sein Rivale John McCain von den Republikanern kam auf 45,7 Prozent. Im Wahlmännergremium wurde Obama mit 365 zu 173 Stimmen gewählt. Klare Sache.

Geht die „Volksabstimmung“ eng aus, kann es heikel werden. Im Jahr 2000 gewann der demokratische Vizepräsident Al Gore landesweit die meisten Wählerstimmen. Präsident aber wurde George W. Bush. Der Republikaner sicherte sich im Wahlmännergremium durch den umstrittenen Wahlsieg in Florida die Stimmenmehrheit.

Am 20. Januar 2017 ist der fast 21-monatige Wahlmarathon vorbei. Entweder Hillary Clinton oder Donald Trump wird dann auf den Stufen des Kapitols in Washington vereidigt. Vorher sind aber alle Augen auf den Kongress gerichtet. Am heutigen Wahltag werden ebenfalls die 435 Abgeordneten des Repräsentantenhauses und ein Drittel aller Senatoren neu gewählt.

Ganz gleich, wie der künftige Präsident heißt: Sein/ihr Handlungsspielraum hängt maßgeblich vom Ausgang der Wahlen zum Senat und zum Repräsentantenhaus ab. Nur dort entsteht Gesetzeskraft. Nur dort erhalten Richter, Generäle und Kabinettsmitglieder grünes Licht. Nur dort wird über den Staatshaushalt entschieden.

Bei der Senatswahl könnten die Demokraten gewinnen

Der Amtsinhaber Barack Obama hat es seit zwei Jahren mit einer auf Fundamentalopposition gebürsteten Mehrheit der Konservativen zu tun, in beiden Häusern. Das muss nicht so bleiben. Der Senat, in dem alle 50 Bundesstaaten zwei Vertreter stellen, könnte an die Demokraten fallen. Im Moment stehen dort 54 Republikaner 44 Demokraten gegenüber. Für die Mehrheit reichen 50 Sitze – vorausgesetzt, die Partei hält gleichzeitig auch das Weiße Haus. Denn in Pattsituationen ist der Vize-Präsident im Senat das Zünglein an der Waage.

Folgt man dem „Cook Political Report“, sind bis zu sieben republikanische Sitze von New Hampshire bis Nevada wackelig. Würden sie fallen, wäre eine Weichenstellung bereits absehbar. Clinton würde die seit Frühjahr offene Stelle am Obersten Gerichtshof besetzen. An die Stelle des Patts, das dort bei vier „linken“ und vier „rechten“ Richtern herrscht, würde eine liberale Mehrheit treten. Deren Durchschlagskraft wäre begrenzt, solange die Republikaner im Repräsentantenhaus weiter die Zügel in der Hand halten. Im „House“ verfügt die „Grand Old Party“ (GOP) mit 246 Sitzen über die komfortabelste Mehrheit seit 1928. Die Demokraten haben 186 Abgeordnete. Für einen Wachwechsel müssten die Demokraten rund 30 Sitze erobern. Eine große Zahl, die laut „Washington Post“ nur bei einem „Erdrutschsieg“ von Clinton vorstellbar sei. Und danach sieht es laut Umfragen nicht aus.