Berlin.

Sollen Ehen für Jugendliche unter 18 Jahren grundsätzlich verboten werden – oder darf es weiter Ausnahmen in Einzelfällen geben? Die Koalition ist besorgt über die wachsende Zahl von sogenannten Kinderehen, besonders unter Flüchtlingen, und will das Eherecht verschärfen. Kritiker warnen: Ein pauschales Eheverbot für Minderjährige könnte mehr Probleme bereiten als lösen. Justizminister Heiko Maas (SPD) will noch im November einen Gesetzentwurf vorlegen.


Wie ist die Rechtslage?

In Deutschland dürfen Jugendliche frühestens mit 16 Jahren heiraten – allerdings nur, wenn der Partner bereits volljährig ist und ein Familiengericht eine Ausnahmeerlaubnis erteilt. Dabei ist das Wohl des minderjährigen Ehepartners entscheidend: Ist er oder sie reif genug für eine Heirat, ist der Altersunterschied nicht zu groß? Bei Ehen, die im Ausland von Minderjährigen geschlossen wurden, haben die deutschen Familiengerichte bislang einen größeren Ermessensspielraum, der etwa auch die Bedingungen anderer Kulturen und abweichende staatliche Regelungen in anderen Ländern berücksichtigen soll. Eine rechtlich festgelegte Altersuntergrenze gibt es in solchen Fällen bislang nicht. Ehen, die unter Zwang geschlossen wurden, sind in jedem Fall in Deutschland strafbar.


Wie verbreitet sind Kinderehen?

Die Debatte dreht sich vor allem um Kinderehen unter Migranten und Flüchtlingen – doch auch in Deutschland heiraten Teenager zum Teil, bevor sie 18 Jahre alt sind. Allerdings gehen die Zahlen seit Jahren zurück: Im Jahr 2000 wurden 1073 Ehen mit minderjährigen Mädchen oder Jungen geschlossen, im Jahr 2005 waren es noch 377 Fälle, im letzten Jahr hingegen nur noch 92 Ehen. Unter den zugewanderten Kindern und Jugendlichen ist die Zahl der verheirateten Minderjährigen dagegen groß: Das Ausländerzentralregister verzeichnete im Juli 1475 verheiratete Jugendliche – 361 davon waren jünger als 14 Jahre, 120 waren 14 oder 15 Jahre alt. Die meisten minderjährig Verheirateten waren Syrer. Hier waren 664 Fälle bekannt. Weitere Herkunftsstaaten waren Afghanistan (157 Fälle), der Irak (100 Fälle) und Bulgarien (65 Fälle). Unter den minderjährig Verheirateten waren mit 1152 deutlich mehr Mädchen als Jungen.


Warum steigt die Zahl der Kinderehen im Zuge der Flüchtlingskrise?
Eine Zahl aus Syrien springt sofort ins Auge: Heute werden bei jeder zweiten Ehe Minderjährige mit einem erwachsenen Partner verheiratet – vor Beginn des Krieges mit Millionen von Flüchtlingen lag die Zahl der Kinderehen laut Unicef nur bei 13 Prozent. Das zeigt: Werden Minderjährige verheiratet, hat dies nicht unbedingt kulturelle oder religiöse Gründe. Kinderehen sollen in Ländern wie Syrien oder Afghanistan auch ein Schutz vor Krisen sein. Manche Flüchtlinge und auch Hilfsorganisationen berichten, dass Kinder vor der Flucht über die Türkei oder Libyen verheiratet werden – als Schutz vor sexueller Gewalt, der sie als allein fliehende Minderjährige stärker ausgesetzt sind.

So ist eine instabile Lebenslage oft der Grund für das junge Heiraten – auch in christlichen oder hinduistischen Kulturen wie etwa Indien oder Brasilien. Das zeigt auch: Nicht alle minderjährigen Flüchtlinge sind per se durch Zwang verheiratet worden. Oftmals ist es auch die Hoffnung auf eine bessere Zukunft.


Worum geht es beim Streit
in der Koalition?

Justizminister Heiko Maas (SPD) will das Eherecht verschärfen: Bei Zuwanderern, die im Ausland unter 16 Jahren geheiratet haben, soll ihre Ehe ausnahmslos unzulässig sein. „Bei Ehen, die zwischen 16 und 18 Jahren geschlossen wurden, gibt es dagegen sehr gute Gründe, in absoluten Härtefällen einzelne Ausnahmen zu erlauben“, sagte ein Sprecher am Mittwoch dieser Redaktion. „Im Vordergrund sollte bei jeder Entscheidung immer das Wohl der betroffen Frau stehen, ihr rechtlicher Schutz und auch die Frage, wie wir in der Ehe bereits geborene Kinder am besten schützen können.“

Die Unionsfraktion im Bundestag will Eheschließungen unter 18 Jahren dagegen ohne Ausnahme verbieten – auch für deutsche Jugendliche. Die SPD-Fraktion sieht das mehrheitlich genauso: „Die Ehemündigkeit muss ohne Ausnahme auf 18 Jahre festgesetzt werden“, heißt es in einem Beschluss von Anfang September.

Aydan Özoguz, Integrationsbeauftragte der Bundesregierung, findet das falsch und stellt sich hinter Maas: „Ein pauschales Verbot von Ehen von Minderjährigen ist zwar vielleicht gut gemeint, kann aber im Einzelfall junge Frauen ins soziale Abseits drängen“, sagte die SPD-Politikerin dieser Redaktion. Özoguz warnte vor den Folgen einer Rechtsverschärfung für die jungen Frauen: „Werden ihre Ehen aberkannt, verlieren sie unter anderem Unterhalts- und Erbansprüche, ihre Kinder wären unehelich, für viele würde das sogar eine Rückkehr in ihre Heimatländer unmöglich machen.“ Auch in der Union hält mancher ein pauschales Verbot für falsch: Die saarländische CDU-Ministerpräsidentin Annegret Kramp-Karrenbauer sagt: Es gebe keinen Grund, ausnahmslos die Volljährigkeit zu verlangen.


Was soll mit Ehen passieren, die von Imamen geschlossen wurden?
Nach einem Vorschlag des Innenministeriums sollen islamische Prediger künftig mit einem Bußgeld belegt werden, wenn sie in Deutschland Minderjährige verheiraten. In Moscheen dürften Imame dann keine Heiratsrituale mehr mit minderjährigen Mädchen vollziehen. Im Gespräch ist ein Bußgeld von bis zu 1000 Euro.

Ein Sprecher des Innenministeriums sagte, im Gespräch sei ein „Verbot der Voraustrauung“. Dieses Verbot solle aber nur gelten, wenn einer der beiden Partner minderjährig ist. Unter einer „Voraustrauung“ versteht man eine religiöse Eheschließung, die vor der standesamtlichen Trauung vollzogen wird.