Calais.

Sie kommen von weither, aus Eritrea oder Äthiopien, aus Afghanistan, Pakistan oder dem Sudan: Im „Dschungel von Calais“ lebten Tausende Flüchtlinge in einer Zelt- und Hüttenstadt. Viele von ihnen waren auf dem Weg nach Großbritannien in der nordfranzösischen Hafenstadt am Ärmelkanal gestrandet. Die Pariser Regierung des sozialistischen Premiers Manuel Valls macht nun ihre Ankündigung wahr, den „Dschungel von Calais“ zu räumen. Die Aktion begann am Montag und soll etwa eine Woche lang dauern – ein gigantisches Vorhaben, das Wellen im Land und bei europäischen Nachbarn schlagen dürfte.


Warum wird gerade jetzt das Ende
des Elendslagers eingeläutet?

Dafür gibt es eine Reihe von Gründen. Die Regierung will vor dem Wintereinbruch handeln, um ein humanitäres Fiasko in dem überfüllten Lager zu verhindern. Die Menschen sollen in Aufnahmezentren in ganz Frankreich verteilt werden – und dort unter besseren Bedingungen leben. Wer einen Asylantrag stellt, soll menschenwürdig untergebracht werden. Wer kein Recht auf Asyl hat, soll ausgewiesen werden – so lautet die Linie der Regierung.


Welche Rolle spielt die
Flüchtlingskrise in Frankreich?

Das Land ist deutlich weniger von der Flüchtlingssituation betroffen als beispielsweise Deutschland. Frankreich registrierte im vergangenen Jahr gut 80.000 Asylanträge. Deutschland dagegen nahm knapp 477.000 Anträge an – fast das Sechsfache.


Wie nimmt die Bevölkerung von Calais die Flüchtlingskrise wahr?

Die meisten Menschen in Calais bekommen im Alltag vom „Dschungel“ nicht viel mit. Manche Geschäftsleute klagen über Umsatzeinbrüche und Lastwagenfahrer fürchten Straßenblockaden durch Migranten. Tag für Tag sind Hunderte Polizisten im Einsatz. Die Angst vor Kriminalität ist ein Thema. Gleichzeitig engagieren sich Menschen aus Calais auch als Flüchtlingshelfer im „Dschungel“.


Spielt die „große Politik“
auch eine Rolle?

Sechs Monate vor der Präsidentenwahl ist Calais natürlich ein Thema. Staatschef François Hollande, der erneut antreten dürfte, warnte bereits davor, aus dem Flüchtlingsdrama in Calais politisch Kapital zu schlagen. Konservative Oppositionspolitiker hatten bereits vor vielen „Mini-Calais“ in ganz Frankreich gewarnt. Altpräsident Nicolas Sarkozy von den konservativen Republikanern trat bereits in der Hafenstadt auf. Und die Rechtspopulisten vom Front National nutzen jede Gelegenheit und damit auch die Lage in Calais, ihre pauschale Einwanderungskritik zu äußern.


Sarkozy kennt die Lage gut. Warum?

2002 ließ Sarkozy, damals noch Innenminister, das Rotkreuz-Lager von Sangatte bei Calais schließen. Es war ursprünglich für 200 Menschen vorgesehen, nahm zeitweise aber achtmal so viele Migranten auf. An der Küste entstanden immer wieder provisorische Lagerplätze in leer stehenden Gebäuden oder in der freien Natur.

Wie ist der Grenzschutz zwischen Frankreich und Großbritannien geregelt?

Die britische Grenze wird faktisch in Nordfrankreich bewacht. In Calais verhindern französische Polizisten Tag für Tag, dass Migranten auf Lastwagen mit Ziel Großbritannien klettern. Grundlage ist ein Vertrag, den die Regierungen aus Paris und London 2003 im Seebad Le Touquet vereinbarten. Demnach werden Pässe bereits im Hafen von Calais kon­trolliert, von britischen Beamten. Wer nicht ins Land darf, muss in Frankreich bleiben – und fliegt nicht erst bei der Ankunft in Dover auf. Umgekehrt kontrollieren französische Beamte schon auf britischem Boden, ob Reisende in den Schengenraum dürfen. An dem Touquet-Vertrag gibt es in Frankreich immer wieder Kritik.


Baut London eine Mauer?

Die von Großbritannien finanzierte Mauer entlang des Hafenzubringers von Calais soll einen Kilometer lang werden. Die Kosten werden mit rund 2,4 Millionen Euro veranschlagt.