Washington.

Der Kriegserklärung an die eigene Partei folgten umgehend die ersten scharfen Schüsse. „Es ist so schön, dass mir die Fesseln abgenommen wurden“, schrieb der republikanische Präsidentschaftskandidat Donald Trump via Twitter, „und ich jetzt so für Amerika kämpfen kann, wie ich es will.“

Was der 70-jährige Milliardär darunter versteht, der nach seinem Sex-Skandal-Video in den Umfragen landesweit zwischen acht und zehn Prozentpunkte Rückstand auf seine demokratische Rivalin Hillary Clinton hat, bekam als Erster die protokollarische Nummer drei im Staat zu spüren.

Paul Ryan, als Sprecher des Repräsentantenhauses hinter Präsident Obama und Vizepräsident Biden laut Verfassung der drittwichtigste Vertreter im amerikanischen Machtgetriebe, zog sich den Zorn des Bau-Unternehmers zu, weil er Trump in den letzten dreieinhalb Wochen vor der Wahl nicht mehr unterstützen will.

Die nicht enden wollenden Eskapaden Trumps sind ihm zuwider. Nachdem bekannt wurde, dass Trump in einem Video aus dem Jahr 2005 vulgär damit geprahlt hatte, dass man als Star Frauen ungefragt zwischen die Beine greifen dürfe, war für Ryan die Grenze überschritten. „Eklig“ nannte er die Worte seines Spitzenkandidaten. Der gab auf der Stelle zurück: „Illoyale Republikaner sind noch schlimmer als die verbrecherische Hillary. Sie gehen von allen Seiten auf dich los. Sie wissen nicht, wie man gewinnt. Ich werde es ihnen beibringen.“

Ryan, 2012 an der Seite von Mitt Romney im Rennen um das Weiße Haus erfolglos geblieben, geht dagegen fest davon aus, dass der durch unzählige Provokationen bei vielen Wählergruppen in Ungnade gefallene Trump am 8. November gegen Clinton verlieren wird. Möglicherweise haushoch.

Bei den gleichzeitig stattfindenden Parlamentswahlen könnten republikanische Abgeordnete und Senatoren dann mit in den Abwärtsstrudel gerissen werden. Das Szenario ist noch nicht belastbar: Aber die Demokraten müssten den Republikanern nur vier Sitze im Senat und 30 im Repräsentantenhaus abnehmen. Schon könnte eine Präsidentin Hillary Clinton mit der Mehrheit in beiden Kammern des Kongresses „durchregieren“.

Ryan will das unbedingt verhindern. Er rät seinen Kollegen, sich so weit wie möglich von Trump zu distanzieren. Nicht alle finden das gut. Bei einer Telefonkonferenz musste sich der asketische Sportler den Vorwurf gefallen lassen, er sei feige und opportunistisch.

Trump erwiderte den Liebesentzug mit einer Kampfansage, die noch lange verbrannte Erde hinterlassen wird. Ryan sei eine „schwache, illoyale und ineffektive Führungsfigur“, sagte der Immobilienmogul seinem Haussender Fox News, die „lieber mehr Zeit auf den Haushalt, den Arbeitsmarkt und illegale Einwanderung verwenden sollte anstatt den Kandidaten der Republikaner zu bekämpfen.“ Im Falle seines Sieges, so Trump, müsse der 46-jährige Familienvater aus Wisconsin mit der Abberufung vom einflussreichen Posten des „Speaker“ rechnen.

US-Beobachter wittern ein „politisches Harakiri“

Eine Kompetenzüberschreitung sondersgleichen, denn der Job wird allein von der Mehrheitsfraktion vergeben. Aber auch der letzte Beleg dafür, dass Trump mit seiner eigenen Partei gebrochen hat. Weil er aber wahlkampforganisatorisch auf den republikanischen Apparat angewiesen ist – Trump hat kaum „Bodentruppen“ in den wichtigen Bundesstaaten –, fragen sich US-Beobachter nach den Motiven für das „politische Harakiri“.

Lesart eins: Trump will die eigene Krawallbasis erweitern; also weiße, vom politischen System enttäuschte Wähler mit schlechtem Bildungshintergrund gewinnen. Dabei nähme er in Kauf, dass nicht radikale Wählergruppen sich noch stärker von ihm abwenden. Aber vielleicht nicht zur Wahl gehen, weil sie einen Sieg der nicht sonderlich beliebten Kandidatin Clinton quasi für gegeben halten könnten.

Lesart zwei: Trump arbeitet auf die Zerstörung und Auflösung der republikanischen Partei hin, was im Falle seiner Wahlniederlage und eines Verlustes der Mehrheit im Kongress nach Einschätzung von US-Kommentatoren „nicht unwahrscheinlich ist“.

Weil Trump die „Abtrünnigen“ wie Ryan frühzeitig isoliert und ihnen präventiv die Schuld an einer Wahlschlappe am 8. November zuweist, könnten sich radikale Flügel innerhalb der Republikaner abspalten und eine eigene Partei am rechten Rand gründen.

Ein Kalkül, dem sich Trumps wichtigster Wahlkampfberater, Stephen Bannon, seit Langem verschrieben hat. Der Chef des rechtspopulistischen Internetportals „Breitbart News“, das sich als Trumps „Prawda“ geriert und dessen frauen- und einwandererfeindlichen Töne verstärkt, hatte nach Medienberichten bereits vor Monaten die Parole ausgegeben, die republikanische Partei müsse „geohrfeigt“ und Paul Ryan aus dem Amt „gedrängt“ werden.

Dass diese Wortwahl bei Wutbürgern am rechten Rand verfängt, für die Washington das Synonym für Korruption und Bürgerferne ist, zeigte sich am Dienstagabend in Newton im Bundesstaat Iowa. Bei einer Wahlkampfveranstaltung mit Mike Pence erklärte eine aufgebrachte Frau, sie sei bereit für eine „Revolution“, falls Clinton die Wahl gewinne. Trumps Sozius für das Amt des Vizepräsidenten reagierte erschrocken und hilflos: „Sagen Sie das nicht!“