Berlin. Die Bundesregierung benötigt 500 Millionen Euro mehr für Entwicklungshilfe. Zu hoch waren die Ausgaben zur Fluchtursachen-Bekämpfung

Die Liste ist lang. Mehr als 800 Projekten fehlt zugesagtes Geld: 15 Millionen Euro für Arbeitsprogramme in Afghanistan, drei Millionen Euro für den Kampf gegen Kinderarbeit in Burkina Faso, drei Millionen Euro für die Aids-Prävention in Zentralafrika, Geld für den Bau von Trinkwasserversorgung in Jordanien. Und, und, und. Seitenlang ist die Forderungsliste, mit der das Bundesentwicklungsministerium (BMZ) nach Geld aus dem Bundeshaushalt ruft. Nach Geld, um Menschen in Not zu helfen. Insgesamt 481.007.900 Euro und 53 Cent. Eine knappe halbe Milliarde zu wenig, mitten im Haushaltsjahr.

Wie konnte das passieren? Seit der Flüchtlingskrise steht die Bundesregierung unter Druck: Die Ursachen der Flucht müssen bekämpft werden. Möglichst schnell. Viel Geld investierte das BMZ in Projekte vor allem in Syrien und dem Irak, weil dort der Krieg tobt. Und von dort Millionen Menschen fliehen – auch in Richtung Deutschland. Jetzt wird das Geld für Projekte andernorts eng. Vor allem in Afrika.

Der Ruf deutscher Helfer in Krisenregionen könnte leiden

Dabei hat sich die Regierung zur Entwicklungshilfe verpflichtet. Das BMZ hat ein Budget von mehr als sieben Milliarden Euro, auch das Auswärtige Amt hilft. Ebenso unterstützt die Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) Menschen in Krisenstaaten. Die Bundesrepublik gehört mit den USA und Großbritannien zu den größten Geldgebern. Die Hilfsverträge etwa in afrikanischen Regionen laufen über Jahre. Doch dann kam die große Fluchtkrise dazwischen.

Und der Druck auf Deutschland steigt. Jetzt gehe es auch darum, „den internationalen Ruf“ als „verlässlicher Partner in Krisensituationen zu bewahren“. So schreibt es Staatssekretär Jens Spahn im Bundesfinanzministerium an den Haushaltsausschuss des Bundestags, das Schreiben liegt der Redaktion vor. Spahns Chef, Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU), hat die Forderung von Entwicklungsminister Gerd Müller (CSU) bewilligt. Nur noch der Haushaltsausschuss muss zustimmen. Aber die SPD blockiert den Antrag. Und so lange gibt es die 481 Millionen Euro für die deutschen Projekte nicht.

Dabei sind sich alle einig: Deutschland muss mehr helfen in der Welt. Es wäre „politisch nicht vermittelbar“, diese Maßnahmen „abreißen zu lassen“ oder „nicht umzusetzen“, schreibt Spahn. Mit anderen Worten: Liegt ein Teil der Entwicklungshilfe auf Eis, wäre das ein Debakel für den Ruf der deutschen Helfer. Gerade in diesen Zeiten.

Es geht um viel Geld – aber geht es auch um einen Machtkampf auf Kosten der Armen? Das vermutet die Linke. „Im Kern geht es um eine Auseinandersetzung zwischen SPD und CDU/CSU“, sagt deren Haushaltsexperte Michael Leutert dieser Redaktion. Bekomme das CSU-geführte Entwicklungsministerium mehr Geld, würden die Sozialdemokraten ebenso auf einen Zuschuss für SPD-geführte Ministerien pochen, so Leutert. Geld für das Auswärtige Amt oder das Arbeitsministerium. Laut mehrerer Politiker hat SPD-Chef Sigmar Gabriel im Haushaltsausschuss durchblicken lassen, dass nun das Kanzleramt zwischen den Ministerien vermittle.

Der CDU-Abgeordnete Volkmar Klein pflichtet seinem Kollegen der Linkspartei bei: „Die SPD blockiert die dringend notwendigen Gelder und gibt vor, weiteren Beratungsbedarf zu haben“, sagte Klein dieser Redaktion. Auch Anja Hajduk (Grüne) kritisiert: „Die Fragen, die die SPD seit der Vertagung im Haushaltsausschuss hatte, sind seit Tagen beantwortet.“ Es gebe keinen Grund, die Auszahlung zu verzögern, „außer man macht Entwicklungsprojekte zum Spielball von koalitionsinternem Streit.“ Für Johannes Kahrs, SPD-Haushaltsexperte, sind noch nicht alle Fragen beantwortet. „Geld für den Kampf gegen Fluchtursachen stellt der Bund gerne zur Verfügung, aber das muss dann gut und ausführlich begründet werden“, sagte er dieser Redaktion. „Das Finanzministerium hat dem Haushaltsausschuss ein anderthalbseitiges Begründungsschreiben vorgelegt. Das ist zu wenig.“ Vor allem wenn es um 500 Millionen Euro geht.

In Syrien, dem Irak und Afghanistan hilft Deutschland mehr als zuvor – auch aus eigenem Interesse, denn der Migrationsdruck auf die EU soll sinken. Gleichzeitig will die EU mit afrikanischen Staaten Abkommen vereinbaren, die zum einen die Entwicklung stärken, zum anderen die Flüchtlinge aus diesen Ländern zurückhalten. Projekten in Afrika fehlt nun aber das Geld, sofern der Haushaltsausschuss die 481 Millionen Euro für das BMZ nicht bewilligt. Weder das Finanz- noch das Entwicklungsministerium wollen Stellung nehmen und verweisen auf die laufenden Verhandlungen oder Spahns Schreiben.

Dabei stand der Nachtrag bereits zweimal auf der Tagesordnung des Ausschusses. Doch die SPD wollte so nicht zustimmen. Also reichte das Entwicklungsministerium die Liste mit den Projekten ein, die am Tropf hängen. Zudem erklärte Staatssekretär Friedrich Kitschelt in einer Email an SPD-Haushälterin Sonja Steffen Hintergründe der Notlage. Doch eine Entscheidung steht weiter aus. Auch die KfW, die die Projekte finanziert, wollte nicht Stellung nehmen: Hätte die Bank mit dem Geld besser planen müssen? Warum tritt sie erst im Sommer 2016 an den Bundestag heran? SPD-Mann Kahrs kritisiert: „Das Ministerium hätte ja auch kleinere Millionenbeträge früher beim Haushalt beantragen können. Das ist nicht passiert – und jetzt entscheiden wir nicht ad hoc über eine halbe Milliarde Euro.“ Die nächste Sitzung des Haushaltsausschusses ist am 20. Oktober. Vorher gibt es wohl keine Entscheidung. Und Helfer in Burkina Faso, Benin und Afghanistan müssen weiter bangen.