Berlin/New York/Damaskus.

Firas al-Khateeb weiß nicht, woran es liegt, dass er so ruhig bleibt. „Ich bin seit zweieinhalb Jahren in Syrien“, sagt der Mitarbeiter des UN-Flüchtlingshilfswerkes UNHCR in Damaskus am Sonntag. „Davor war ich in Jordanien und im Irak, über 20 Jahre in Krisengebieten.“ Da entwickele man als Helfer Strategien, um mit der Ungewissheit umzugehen, ob man morgen zwischen die Fronten gerät. Der 48-jährige Flüchtlingshelfer sagt auch diesen Satz ganz ruhig: „Aber das ist das Risiko, das wir jeden Tag eingehen müssen, um unsere Arbeit hier zu machen.“

Derzeit sieht es in Syrien so aus, als seien gerade Helfer wie Firas al-Khateeb das Ziel von Angriffen. Die Hilfsorganisation Ärzte der Welt erklärte erst, sie habe den Eindruck, Aleppos Gesundheitseinrichtungen würden „gezielt angegriffen“. Und richtig: In nur einer Woche sind zwei Ambulanzen, sechs Krankenhäuser, die Blutbank und eine Kinderstation teilweise oder vollständig zerstört worden. Seit dem Bruch der zuletzt vereinbarten Waffenruhe starben nach derzeitigem Stand der Hilfsorganisationen 180 Menschen, darunter 26 Kinder. Aleppo erlebt derzeit die schwersten Luftangriffe des syrischen Bürgerkrieges.

Zwei Millionen Menschen ohne Zugang zu fließendem Wasser

Firas al-Khateeb sagt, dass ohne eine weitere Vereinbarung zur Feuerpause seine Arbeit unmöglich ist. „Unser Hauptproblem in Aleppo ist derzeit, dass wir keinen Zugang zum östlichen Teil haben“, sagt er. Viele der Mitarbeiter des UNHCR in Aleppo müssten von zu Hause arbeiten, weil schon der Weg zur Arbeit zu gefährlich sei. Von einem Treffen des UN-Sicherheitsrats am späten Sonntag erhoffte al-Khateeb sich eine Beruhigung der Lage, einen weiteren Waffenstillstand. Erst dann könnten die Helfer die mindestens 100.000 Menschen erreichen, die von jeder Unterstützung abgeschlossen sind.

Gerade jener Ostteil der Stadt war besonders betroffen von massiven Luftangriffen der syrischen Armee und ihrer Verbündeten an diesem Wochenende. Drei Tage in Folge wurde der von Rebellen gehaltene Ostteil Aleppos angegriffen. Mehr als 250.000 Menschen harrten unter widrigsten Umständen aus. Zudem seien rund zwei Millionen Menschen von der Trinkwasserversorgung abgeschnitten. Der einzige Zugang sei oft nur ein Brunnen, aber der könne mit kontaminiertem Wasser verseucht sein.

Während die Zivilbevölkerung in dem seit mehr als fünf Jahren dauernden Konflikt leidet und durch die hohe Auswanderung sich die Flüchtlingskrise in Europa weiter verschärft, lastet großer Druck auf dem Treffen des UN-Sicherheitsrats in New York. Generalsekretär Ban Ki-Moon äußerte sich erschüttert über die „schreckenerregende militärische Eskalation“ in Aleppo. Er sei alarmiert über Berichte von Luftangriffen mit Brandbomben und Waffen, die selbst Bunker sprengen könnten.

US-Außenminister John Kerry hatte sich am Sonnabend in Boston mit vier europäischen Außenministern ausgesprochen. Er verlangte von Syrien ein sofortiges Ende der Luftangriffe. „Was in Aleppo passiert, ist inakzeptabel. Das sprengt alle Dimensionen“, sagte Kerry. Zugleich rief er Russland auf, seinen Einfluss auf Syriens Machthaber Baschar al-Assad geltend zu machen. Die zwischen Russland und den USA vereinbarte Waffenruhe hatte nicht einmal eine Woche lang gehalten. Assad hatte vor Wiederaufnahme der Luftangriffe auf Aleppo eine Bodenoffensive angekündigt, um die Stadt vollständig zurückzuerobern.

Im Umland Aleppos rückten Regimetruppen nach Gefechten gegen die Aufständischen vor. Die angekündigte Militäroperation begann damit aber offensichtlich noch nicht. Die schweren Bombardements bedeuten nach den Worten von UN-Syrien-Vermittler Staffan de Mistura „eine Rückkehr zum offenen Konflikt“. Aus seiner Sicht sei es die schlimmste humanitäre Tragödie seit dem Zweiten Weltkrieg, sagte de Mistura dem arabischen Sender Al-Dschasira. Der Diplomat arbeitet seit 46 Jahren bei den UN, hat nach eigener Aussage 19 Kriege miterlebt, in Afghanistan und auf dem Balkan. Doch sein Fazit macht wenig Mut: „Ich habe niemals so viele Parteien mit so vielen unterschiedlichen Zielen gesehen wie in diesem Konflikt.“

Die wenigen noch arbeitsfähigen Krankenhäuser Aleppos seien mit den vielen Verwundeten überfordert. Es fehle an medizinischer Ausrüstung und Personal. „Wir haben nicht genug Ärzte, um mit der hohen Zahl an Verletzten fertigzuwerden“, sagte Ibrahim al-Hadsch, Sprecher der Weißhelme.

In Zeiten, in denen so viel schlechte Nachrichten bei Firas al-Khateeb im UNHCR-Hauptquartier in Damaskus eintreffen, gehe oft unter, sagt er, dass auch schon viel erreicht wird. So wurde am Sonnabend bekannt, dass nach Monaten der Belagerung ein Hilfskonvoi mit 36 Lastwagen die zentralsyrische Stadt Homs erreicht hatte. Und noch eine gute Nachricht: „Außerdem haben wir seit dieser Woche wieder Zugang in die ländlichen Regionen um Damaskus.“