Wolfsburg.

Es ist ein Sieg für Sigmar Gabriel, aber er will jetzt lieber nicht triumphieren. Der SPD-Chef steht in einer Halle des Wolfsburger Congress-Zentrums, er sieht etwas abgekämpft aus nach dem fünfstündigen kleinen Parteitag. „Ein richtig guter Tag für die SPD“, meint der Vorsitzende, „endlich stellen wir die Bürger in den Mittelpunkt der Globalisierung.“ In Wahrheit ist es auch ein richtig guter Tag für Gabriel persönlich. Eben hat der Konvent mit einer Zweidrittelmehrheit der 235 Delegierten im erbitterten Streit über das Freihandelsabkommen mit Kanada die Linie des Parteichefs unterstützt: Die SPD trägt das Ceta-Abkommen mit, verlangt aber Nachbesserungen.

Es ist ein schwer erkämpfter, mit Kompromissen erkaufter Sieg. Aber ein Sturz des Vorsitzenden, den manche schon für den schlimmsten Fall befürchteten, ist abgewendet. Der SPD-Chef hat sich durchgesetzt – und spürt plötzlich kräftigen Rückenwind.

24 Stunden zuvor hat die SPD bei den Landtagswahlen in Berlin zwar kräftige Einbußen erlebt, aber sie bleibt stärkste Partei und kann auch künftig den Regierungschef stellen. Die Bilanz dieses Wahljahres 2016 ist also nun doch ganz ordentlich – und Gabriels persönliche Bilanz nach diesem Konvent auch: So ist dieser Montagabend eine Zäsur, weit über die Ceta-Abstimmung hinaus. Gabriel hat in Wolfsburg gerade die letzte Hürde vor seiner Kanzlerkandidatur abgeräumt, schon in den nächsten Wochen werden programmatische Eckpfeiler eingerammt. „Jetzt geht es los, die Kandidatur ist ihm nicht mehr zu nehmen“, sagt einer aus der engsten Parteiführung.

Das sah vor ein paar Wochen noch anders aus. Da war zum Ende der Sommerpause eine Stimmung entstanden, die dem Vorsitzenden gefährlich zu werden drohte. Die Komplikationen bei der Edeka-Tengelmann-Fusion, schlechte Umfragewerte vor den Landtagswahlen – und dann der Konflikt über das eigentlich zweitrangige Freihandelsabkommen mit Kanada, der zu einem erbitterten Grundsatzstreit wurde. Gabriel aber hat sich für dieses Abkommen persönlich eingesetzt. Er hält das „Comprehensive Economic and Trade Agreement“ (umfassendes Wirtschafts- und Handelsabkommen) zwischen EU und Kanada für einen Quantensprung. Er erklärt den Genossen, Ceta sei die Blaupause für moderne Handelsabkommen, die Verbraucher-, Arbeitnehmer- und Umweltschutz ernst nähmen. Damit würden Standards nicht abgesenkt, sondern erhöht.

Im Vorjahr hat sich der Wirtschaftsminister erfolgreich dafür eingesetzt, dass umstrittene Passagen zu den Investorenschiedsgerichten nachgebessert werden. Auch dies macht nicht nur aus Gabriels Sicht Ceta viel besser als TTIP – dieses hoch umstrittene Abkommen zwischen den USA und der EU ist noch immer nicht zu Ende verhandelt, die amerikanische Seite stellt harte, kaum erfüllbare Bedingungen. TTIP ist aus Sicht Gabriels längst tot. Ceta aber will er retten.

Gabriel kämpft, zweimal gleich tritt er vor den Genossen ans Mikrofon. Vergangene Woche ist er noch extra nach Kanada geflogen, um sich vom kanadischen Premier Justin Trudeau die Bereitschaft zu nachträglichen Klarstellungen des Vertragstextes zusichern zu lassen. Handelsministerin Chrystia Freeland ist umgekehrt eigens nach Wolfsburg gekommen, um den Genossen in einer halbstündigen Rede diese Zusage persönlich zu überbringen. Das ist die Brücke, mit der Gabriel und die SPD-Führung die Mehrheit für Ceta erreichen. Kurz vor dem Konvent legt Gabriel noch einmal nach, mit dem Vormann der SPD-Linken im Bundestag, Matthias Miersch, und dem SPD-Europa-Politiker Bernd Lange hat er einen weiteren Kompromiss ausgehandelt: Das EU-Parlament solle „einen ausführlichen Anhörungsprozess mit den nationalen Parlamenten und der Zivilgesellschaft“ starten, noch bevor über die vorläufige Anwendbarkeit des Abkommens entschieden werde.

Doch immerhin ein Drittel der Delegierten lässt sich auch davon nicht überzeugen. „Es ist unrealistisch, erst mit Ja zu votieren, gleichzeitig aber Nachbesserungen und Prüfungen zu fordern“, sagt Hilde Mattheis, Chefin des Demokratischen Forums von SPD-Linken. Aber die Mehrheit steht schließlich. Gabriel behauptet, er habe nie daran gezweifelt. Aber er erzählt auch, dass ihm die Kanzlerin am Sonntag noch „viel Erfolg“ für den Konvent gewünscht habe.

Dabei wissen beide, was jetzt folgt: Ende des Monats sollen SPD-Arbeitsgruppen ihre Vorschläge für Eckpunkte des Programms vorlegen, die dann bei einem Modernisierungsprogramm Ende Oktober vorgestellt werden sollen. Anfang 2017 wird der Vorsitzende dann offiziell den Hut in den Ring werfen.

Sigmar Gabriel sei entschlossen, Bundeskanzlerin Angela Merkel herauszufordern, erklärt ein Vertrauter: Die Kandidatur sei längst nicht mehr aussichtslos, das zeige die aktuelle Schwäche der Kanzlerin.