Berlin.

Die Autobahn A5 nördlich von Karlsruhe am Montagnachmittag dieser Woche: Der Verkehr fließt zäh, die Fahrzeugschlange stockt alle paar Minuten. Als die Bremslichter wieder einmal leuchten, reagiert ein Lastwagenfahrer zu spät und fährt auf den Tanklastzug vor ihm auf – und das mit so hohem Tempo, dass beide Fahrzeuge zerstört werden. Die Feuerwehr muss den Fahrer aus dem Wrack befreien, er schwebt in Lebensgefahr.

Immer wieder bremsen Lastwagenfahrer so spät, dass sie in die Fahrzeuge vor ihnen krachen. Meistens geschieht dies am Ende eines Staus. Oft genug sterben Menschen dabei, weil sie durch die Wucht des Aufpralls in ihren Autos zerdrückt werden. Im Jahr 2014 starben auf deutschen Autobahnen 72 Menschen bei Unfällen, für die Lastwagenfahrer die Hauptschuld trugen, das sind die letzten verfügbaren Zahlen des Statistischen Bundesamts.

Bundesverkehrsminister Alexander Dobrindt (CSU) will das Risiko solcher Unfälle nun deutlich reduzieren. Er hat die Bundesanstalt für Straßenwesen beauftragt, Notbremssysteme in Lastwagen genauer zu untersuchen. Sobald die Ergebnisse auf dem Tisch liegen, will sich die Bundesregierung „auf internationaler Ebene dafür einsetzen, die technischen Vorschriften entsprechend anzupassen, um Notbremsassistenzsysteme noch sicherer und effektiver zu machen“. So steht es in einer Antwort von Dobrindts Ministerium auf eine Anfrage der Grünen Bundestagsfraktion. Deren Verkehrsexperte Oliver Krischer wollte von Dobrindt wissen, ob die Vorschriften über Notbremseinrichtungen bei Lastwagen ausreichend sind.

Denn das Tragische an den schweren Unfällen mit Lastwagen ist: Viele von ihnen könnten schon jetzt verhindert werden. Seit 2015 müssen in ganz Europa alle neuen Lkw mit einem Notbremsassistenten ausgerüstet sein. Das sind Systeme, die über Kamera oder Radar Hindernisse erkennen, den Fahrer warnen und sofort nach dieser Warnung automatisch bremsen.

Das Problem ist nur: Diese Notbremssysteme können vom Fahrer abgeschaltet werden. Die von Dobrindt geplante Studie soll sich deshalb unter anderem damit befassen, ob es wirklich notwendig ist, das System ausschalten zu können, und ob es nicht möglich ist, dass es sich automatisch wieder anschaltet.

„Es ist natürlich Schwachsinn, so ein System auszuschalten“, sagt Wolfgang Westermann, Vorsitzender des Bundes Deutscher Berufskraftfahrer. „Diese Systeme schützen ja auch die Fahrer.“ Viele seiner Kollegen würden sie doch abschalten, weil es immer Situationen gebe, in denen das System eine unsinnige Vollbremsung einleite – zum Beispiel, wenn ein Autofahrer den Lastwagen schneide, um noch vor ihm in die Autobahnausfahrt zu fahren. Die Systeme würden oft auch greifen, wenn sich Lastwagen gegenseitig überholten. Man müsse sie so verbessern, dass sie „nicht auf jede Kleinigkeit reagieren“, meint Westermann.

Michael Schreckenberg, Physikprofessor an der Uni Duisburg-Essen, sagt, mit den Notbremssystemen sei es wie mit der gelben Warnweste im Auto: „Sie müssen sie haben, aber Sie müssen sie nicht benutzen.“ Es sei zwar theoretisch sinnvoll, das Abschalten der Systeme zu verhindern. Dafür brauche man aber eine gesetzliche Grundlage. Und selbst dann blieben offene Fragen: Wer sorgt dafür, dass die Software auf dem neuesten Stand bleibt? Wer haftet für mögliche Schäden, die durch eine automatische Bremsung entstehen?

Dem Grünen-Verkehrsexperten Krischer reicht das von Dobrindt geplante Forschungsprojekt nicht aus. Er möchte nicht nur neue, sondern bereits fahrende Lkw nachträglich mit Notbremseinrichtungen ausrüsten. „Das könnte Leben retten“, sagt Krischer. Solche Einrichtungen seien bei Bestands-Lkw heute aber oftmals Fehlanzeige: „Wir fordern Bundesverkehrsminister Dobrindt auf, hier schnell aktiv zu werden und die Ausrüstung von Bestands-Lkw mit Notbremseinrichtungen schnell voranzutreiben.“

Viele Experten aber sehen die Ursache für Unfälle durch unaufmerksame Lkw-Fahrer ganz woanders: Verantwortlich seien die nervenzehrenden Arbeitsbedingungen im Güterverkehr.