Berlin. Eine von Bundesgesundheitsminister Gröhe bestellte Expertise benennt brisante strafrechtliche Verfehlungen der Kassenärzte

Andreas Köhler war bekannt als Taxifahrer. Der Ex-Vorstandschef der mächtigen und halbstaatlichen Ärzte-Vereinigung KBV wollte keinen Dienstwagen. Das war sieben Jahre lang so, bis er eine Stellvertreterin bekam. Regina Feldmann hatte sich in ihrem Vertrag mit der KBV einen Dienstwagen ausgehandelt, weshalb Köhler plötzlich doch ein eigenes Auto brauchte. Seither fuhr er die fünf Kilometer ins Büro im Mercedes-Geländewagen.

Die Art und Weise, wie Köhler an seinen Dienstwagen kam und wie er finanziert wurde, war „unüblich“ und „nicht nachvollziehbar“. So steht es in einem vertraulichen Rechtsgutachten im Auftrag des Bundesgesundheitsministeriums, das dieser Redaktion vorliegt. Danach wurde das Auto nicht nur an den zuständigen Gremien vorbei genehmigt. Köhler ließ sich auch die von ihm privat bezahlte Leasingrate von 1249,48 Euro pro Monat wie eine Taxiquittung erstatten. Hinzu kamen 10.000 Euro als „Benzinkostenpauschale“.

Die Geschichte vom Dienstwagen ist die neueste, bisher unbekannte Wendung in einem Skandal, der das Gesundheitswesen seit mehr einem Jahr erschüttert. Er dreht sich vor allem um den – inzwischen zurückgetretenen – Andreas Köhler. Aber auch die amtierende Führungsriege in der KBV könnte noch erfasst werden. Jedenfalls kommen auch jetzt noch Details ans Licht. Sie zeigen, wie sich der Spitzenfunktionär der Kassenärzte ungehindert selbst bediente – und ihn niemand stoppte.

Sowohl die Ärzte als auch Gesundheitsminister Hermann Gröhe (CDU) sind seit einigen Monaten mit mäßigem Eifer dabei, die Sache aufzuklären. Denn die KBV ist eine Organisation, die kaum ein Patient oder Versicherter kennt. Eine ihrer Aufgaben ist es, das Geld der Krankenkassen unter den 165.000 Ärzten und Psychotherapeuten mit eigener Praxis zu verteilen. Als Körperschaft des öffentlichen Rechts handelt sie in staatlichem Auftrag. Doch das Gesundheitsministerium hat die Organisation jahrelang nicht genau genug kontrolliert.

Verdacht auf Untreue in besonders schweren Fällen

Das Gutachten, das das Ministerium von der Anwaltskanzlei Luther anfertigen ließ, summiert nicht nur den entstandenen wirtschaftlichen Schaden auf mindestens 200.000 Euro. Es zeigt auch brisante strafrechtliche Folgen der Angelegenheit. Danach könnten sich der Ex-KBV-Chef Köhler und seine Helfer – darunter seine Ehefrau – gleich mehrfach strafrechtlich schuldig gemacht haben. Fünf Mal bestehe jeweils der Verdacht der „Untreue in besonders schwerem Fall“, schreiben die Anwälte. In einem Punkt könne es sich auch um „versuchten Betrug in einem besonders schweren Fall“ handeln. Das Strafgesetzbuch sieht für Untreue bis zu fünf Jahre Freiheitsstrafe oder Geldstrafen vor. Dabei geht es nicht nur um den Dienstwagen oder um Köhlers üppiges Jahresgehalt von zwischenzeitlich 350.000 Euro im Jahr. Es geht auch um nachträglich vereinbarte Gehaltserhöhungen, die Höhe des Ruhegehalts, eine Haftpflichtversicherung, für die Köhler wenig beisteuerte, und um Rechtsschutzkosten. Viele der Regelungen kamen nachträglich zustande, vereinbart von einem kleinen Personenkreis.

Das Ministerium war gestern zu keiner Stellungnahme bereit. Gröhe will wohl keinen zusätzlichen Staub aufwirbeln. Seine Beamten haben in dem Fall bereits zwei Strafanzeigen wegen Untreue und eine wegen Betrugs gestellt. Die Staatsanwaltschaft Berlin ermittelt. Die KBV selbst schweigt.