Berlin. Am kommenden Sonntag wird ein neues Abgeordnetenhaus gewählt. Es wird mehr Verlierer als Gewinner geben. Eine Analyse aus der Hauptstadt

Die Antwort ist bezeichnend. „Ein gutes Ergebnis ist, wenn es schwer wird, gegen uns eine Regierung zu organisieren“, sagt der Spitzenkandidat der Berliner CDU, Frank Henkel, auf die Frage, was für ihn denn am Wahlabend, am 18. September, ein gutes Ergebnis sei. Henkel, der auch Innensenator der Hauptstadt ist, weiß, dass es vermessen wäre, Zahlen zu nennen. In Umfragen liegt die Berliner CDU, seit fünf Jahren mit der SPD in einer Koalition, nur noch bei 19 Prozent. Bei der letzten Wahl, vor fünf Jahren, waren es immerhin noch 23,3 Prozent. Die Zeiten, als die Hauptstadt-Union mit Eberhard Diepgen Wahlergebnisse von 40 Prozent erzielte, sind lange vorbei.

In diesem Herbst kann es für die CDU ganz bitter werden, denn die Pro­bleme der Stadt, die werden auch der CDU angelastet. Wohnungsnot, Flüchtlingskrise, nicht funktionierende Bürgerämter, der schlechte Zustand der Schulen, der BER, der immer noch nicht eröffnet ist. Henkel, der von Anfang an mit seinem Amt fremdelte, setzt im Wahlkampf voll auf das Thema Sicherheit – mehr Polizei, mehr Videoüberwachung, Burka-Verbot –, doch das nutzt nichts. Er kommt nicht an, die Tatsachen, dass Berlin unter ihm 1000 Polizisten mehr eingestellt hat, dass der 1. Mai weitgehend befriedet ist und nicht mehr in Krawallen endet, die werden ihm nicht zugerechnet. „Augen zu und durch“, beschreibt einer, der in der Berliner CDU viel zu sagen hat, diesen Wahlkampf. Die Angst bei den Christdemokraten ist groß, dass es noch schlimmer als bei 19 Prozent enden kann. Dann nämlich, wenn die CDU hinter der AfD liegt. Möglich ist das.

Was ist da los in Berlin? Man sollte doch annehmen, dass eine große Koalition eine große Stadt gut regiert, dass es einen Kandidaten gibt, den die Berliner mehrheitlich als Regierenden Bürgermeister wollen. Wenn die CDU schon mit Henkel keine Punkte machen kann, dann doch bitte die SPD. Aber weit gefehlt: Der Regierende Bürgermeister Michael Müller (SPD), Nachfolger von Klaus Wowereit und seit zwei Jahren im Amt, hat den Schwung seiner ersten Tage schnell verloren. Anfangs setzte Müller, der ja auch schon seit 15 Jahren stets an führender Stelle in der Berliner SPD wirkte, sich geschickt von Wowereit ab. Müller präsentierte sich als der Mann, der nur eine Ausbildung (zum Drucker) hat, der sich kümmert (selbst um die kaputten Schultoiletten), der die Alltagsprobleme lösen kann. Doch die Probleme löste er in den zwei Jahren eben nicht, sie wurden eher größer.

Die Flüchtlingskrise, die schlimmen Bilder vom Berliner Landesamt für Gesundheit und Soziales (Lageso), wo die geflüchteten Menschen in Schlamm und Dreck, bei großer Kälte warten mussten, überforderten nicht nur den zuständigen Sozialsenator Mario Czaja, sondern auch Müller. Immer wieder gab es Streit, öffentlich ausgetragen. Die Berliner mögen keinen Streit. Gut regiert? Die Wirtschaft wächst, die Arbeitslosenquote ist unter zehn Prozent gesunken, doch die Berliner erleben täglich, wo der Staat nicht funktioniert. Ungelöst die Situation bei den Bürgerämtern, wo man immer noch wochenlang auf einen Termin warten muss. Auch der BER ist vier Jahre nach der geplanten Eröffnung noch nicht in Betrieb gegangen. Müller, der auch BER-Aufsichtsratsvorsitzender ist, traut sich vor der Wahl nicht zu sagen, dass es wohl wieder nichts wird mit dem nun anvisierten Eröffnungstermin im Herbst 2017. Er will das erst im Oktober sagen. Oktober, das ist nach der Wahl.

So liegt die SPD in Umfragen derzeit bei 21 bis 24 Prozent. Klaus Wowereit holte noch 28,3 Prozent – und das war schon schlecht. Müller hat sein Wahlziel von 30 Prozent schon lange aufgegeben. „Wir müssen alle zur Kenntnis nehmen, dass sich die Welt geändert hat“, sagt Müller, wenn man ihn auf die schlechten Umfragen anspricht. Er meint damit die Flüchtlingskrise, die erstarkte AfD. Mit der „Henkel-CDU“, so Müller, will er nichts mehr zu tun haben. Er wirbt heftig für Rot-Grün, wohl wissend, dass es nicht für eine Zweier-Koalition reichen wird. Denn die Grünen liegen in der Wählergunst jetzt, wenige Tage vor der Wahl, bei 16 Prozent. Also ist ein Dreier-Bündnis – Rot-Rot-Grün – auch in Berlin wohl die einzig mögliche Lösung.

Ramona Pop, die einzige Frau unter den Spitzenkandidaten, will die Grünen unbedingt in die Regierung führen. Sie bemüht sich, keine Fehler zu machen und nicht anzuecken. Ein bisschen piesackt sie Müller („Ich habe nicht den Eindruck, dass diese herablassende Art, Politik zu machen, bei den Wählerinnen und Wählern ankommt“) – und macht doch keinen Hehl daraus, dass es nur mit der SPD ein Bündnis geben wird.

Und die AfD? Den Rechtspopulisten gelingt es auch in Berlin, die Nichtwähler zu mobilisieren und vor allem die Unzufriedenen für sich zu gewinnen. Auch hier ist das zentrale Thema die Flüchtlingskrise. Mit Georg Pazderski, einem ehemaligen Bundeswehroffizier, hat sie einen Spitzenkandidaten, der bürgerlich daherkommt, aber knallharte rechte Forderungen vertritt. „Eine Integration von Flüchtlingen soll nicht stattfinden“, sagt Pazderski. Die Flüchtlinge sollten nahe ihrer Heimat bleiben beziehungsweise darauf vorbereitet werden, dass sie dorthin zurückkehren müssen. Die rechten Parolen kommen an – nach den Umfragen ist die AfD mit 15 Prozent sicher im Parlament. Zusammenarbeiten, gar koalieren will keiner mit ihr.

Angela Merkel wird die nächste Niederlage erklären müssen

Da geht es der FDP schon anders – 2011 mit 1,8 Prozent klar aus dem Landtag gewählt und in den letzten Jahren in den Umfragen kaum messbar –, ist sie jetzt wieder zurück. In Umfragen liegen die Berliner Liberalen bei fünf oder sechs Prozent, viele enttäuschte CDU-Wähler wollen bei der FDP ihr Kreuz machen. Der Spitzenkandidat ist Sebastian Czaja, jüngerer Bruder von Sozialsenator Mario Czaja – smart und selbstbewusst. Er hat eigentlich nur ein Thema: Der Flughafen Tegel soll offen bleiben. Den lieben die Berliner, also sammelt Czaja Punkte.

Regieren wird in der Hauptstadt nicht einfacher. Auch nicht für die Bundespolitiker. SPD-Chef Sigmar Gabriel wird sich bei einem schlechten SPD-Ergebnis herausreden und sagen, die SPD sei noch stärkste Partei. Angela Merkel, die Bundeskanzlerin, wird die nächste Wahlniederlage erklären müssen – und wieder einmal ihre Flüchtlingspolitik.