Berlin.

Wladimir Putin muss warten. Bayerns Ministerpräsident und CSU-Chef Horst Seehofer verschiebt seine Moskaureise ungern, der Prestigewert eines Treffens mit Russlands Präsidenten ist nicht zu verachten. Wie die Dinge stehen, wird die Innenpolitik Seehofer alles abfordern. Die Lage für die Union empfindet er als „höchst bedrohlich“, der September und Oktober seien wichtige Monate mit Entscheidungen, „die seine Anwesenheit in Bayern und Deutschland erforderlich machen“, wie die Staatskanzlei am Dienstag in München erklärte.

Bis Ende Oktober müsse eine „Klärung“ her, sagte der CSU-Chef der „Süddeutschen Zeitung“. Im Kanzleramt in Berlin wird man es wie eine Drohung auffassen: Es zeichnet sich die nächste Kraftprobe mit Regierungschefin Angela Merkel ab – der x-te Konflikt seit Beginn der Flüchtlingskrise.

„Wir machen unser Ding“, heißt es bei der CSU

Nach der für die CDU desaströsen Wahl in Mecklenburg-Vorpommern will es der CSU-Chef nicht dabei belassen, in Pressegesprächen Dampf abzulassen. Er strebt klare Absprachen mit der CDU über Steuern, Rente, innere Sicherheit, Zuwanderung an. Am Wochenende will der CSU-Vorstand in Klausur gehen und Papiere beschließen, lauter Maximalforderungen, CSU pur. „Wir machen unser Ding“, heißt es in München. Die Sachfragen sind geeignet, die nicht kleine Kluft zwischen den Schwesterparteien noch zu vergrößern.

Da ist zunächst die Sozial- und Rentenpolitik. Zur Fortentwicklung sowohl der Mütterrente als auch der privaten Vorsorge steht eine Einigung aus. Zudem will die CSU die soziale Grundsicherung für (ältere) Flüchtlinge einschränken. In der Zuwanderungspolitik pocht die CSU auf eine Obergrenze. Eine Forderung, die oft erhoben und genauso oft von der CDU abgelehnt wurde, erst am Montag von Generalsekretär Peter Tauber. Die CSU erteilt auch einer allgemeinen Visafreiheit für Türken eine Absage – noch eine Bruchstelle, denn die EU und Merkel sind auf eine Verständigung mit der Türkei aus.

Bis November führen CDU und CSU sechs Fachkonferenzen durch, im Erfolgsfall abschließend noch eine Klausur. Wenn sie sich auf ein gemeinsames Programm einigen, finden sie auch leichter einen Kandidaten. Angela Merkel lässt offen, ob sie noch einmal antritt; und Horst Seehofer, ob die CSU sie auch auf ihren Schild heben würde. Er behält sich vor, einen „Bayernplan“ aufzustellen und selbst für den Bundestag 2017 zu kandidieren. Er glaubt, dass er besser als Merkel die CSU mobilisieren kann.

Seehofer würde zwar für den Bundestag kandidieren, nach dem Wahlkampf aber nach München zurückkehren. Er glaubt, dass seine Anhänger daran keinen Anstoß nehmen würden, wenn er keine falschen Erwartungen weckt, sondern den Plan offen vertritt.

Die Idee, die zunächst tollkühn klang und für eine leere Drohung gehalten wurde, nimmt Formen an. Eigentlich führe schon fast kein Weg daran vorbei, heißt es in Seehofers Umfeld. Denn: Die Entfremdung zwischen CDU und CSU ist nicht kleiner geworden. Gerade erst hat Merkel erklärt, dass sie ihre Entscheidungen zur Flüchtlingspolitik für „richtig“ halte. Über ihren Generalsekretär Peter Tauber ließ sie die Forderung nach einer Obergrenze für Flüchtlinge ablehnen.

Das ist nicht das (Fehler-)Eingeständnis, das sich Seehofer erhofft hatte, und bestätigt seine Befürchtung, dass die CDU aus den Niederlagen bei drei Landtagswahlen im März nichts gelernt habe. Darin liege der „Keim der Ursachen für das jetzige Ergebnis“. Weil das schlechte Abschneiden für ihn absehbar war, hat er bewusst Einladungen ausgeschlagen, im Nordosten im Wahlkampf aufzutreten. Die Manöverkritik nach der Wahlniederlage sollte auf Merkel hindeuten. Für Seehofer ist die Flüchtlingspolitik nur ein Ventil, „die Problematik liegt wesentlich tiefer“. Gemeint ist die Wut gegen „die Berliner Politik“.

Fehler hat Merkel bisher zwar nicht eingeräumt. Aber dass eine Situation wie 2015 sich nicht wiederholen darf, ist ihre erklärte Politik. Viele Gesetzesverschärfungen dienten diesem Ziel. Von Woche zu Woche steigt der Druck, Asylbewerber ohne Bleiberecht konsequent abzuschieben.

Unklar ist, was sich Seehofer davon verspricht, wenn er die Wut auf die Berliner Politik aufgreift. Tatsächlich ist er ein Teil davon. Den größten Teil seines Lebens verbrachte er in der Bundespolitik, CSU-Minister sitzen im Kabinett Merkel, bis auf die sogenannte Grenzöffnung im September 2015 wurden alle Entscheidungen zur Flüchtlingspolitik mit der CSU beschlossen.

Süffisant bemerkte Innenminister Thomas de Maizière (CDU) im Bundestag, aus unterschiedlichen Richtungen werde der Eindruck erweckt, als sei seit 2015 wenig passiert. „Besonders verwunderlich finde ich es, wenn diejenigen, die das behaupten, mit am Kabinettstisch oder im Koalitionsausschuss saßen, als Woche für Woche die Dinge vorangebracht wurden – Schritt für Schritt in großem Tempo.“

Merkel-Bashing? Seehofer ist ein Kritiker der ersten Stunde

Allerdings ist Seehofer auch nicht der Opportunitätskritiker, den der Grünen-Politiker Robert Habeck im Bayrischen Rundfunk so karikiert: „Ich finde es fadenscheinig bis – soll ich verlogen sagen –, wie weit Parteien inzwischen in das Merkel-Bashing einsteigen, die sich im September letzten Jahres und um Weihnachten rum gar nicht genug rühmen konnten, Teil dieser Emotionen und Teil dieser Begeisterung zu sein, die ja vom Münchner Hauptbahnhof ausging.“ Seehofer ist ein Kritiker der ersten Stunde. Mit dem Merkel-Bashing hat er nicht erst in diesen Septembertagen angefangen.