Brüssel.

Es ist ein Sommerspaß für Millionen Menschen, die mit dem Smartphone auf Jagd nach virtuellen Monstern gehen. Es ist ein Riesengeschäft für den Spielentwickler Niantic, dessen Mutterkonzern Google und den Lizenzgeber Nintendo. Und es ist möglicherweise rechtswidrig. Das jedenfalls meinen Experten im Europa-Parlament zum Handyspiel „Pokémon Go“. Sie werfen den Betreibern vor, sich über die App massenhaft Daten einer arglosen Kundschaft zu verschaffen und damit ein Geschäft zu machen – ein Verstoß gegen die europäischen Datenschutzregeln.

Jeden Tag sind rund um den Globus etwa 30 Millionen Pokémonauten unterwegs. Sie lassen sich über das GPS ihres Smartphones orten und können sich so auf einer Karte anzeigen lassen, wo die nächsten Pokémons lauern. Um die Pikachus, Taubsis und Traumatos zu fangen, kann ein virtueller Ball auf sie abgefeuert werden. In der Grundversion ist die App kostenlos – nach Ansicht der EU-Datenschützer in Brüssel müssen die Spieler das Vergnügen aber dennoch teuer bezahlen.

Der belgische EU-Abgeordnete Marc Tarabella, Verbraucherschutzfachmann der Sozialdemokraten, will den Missbrauch von der EU-Kommission stoppen lassen. Für den heutigen Freitag hat er eine Beschwerde in der EU-Zentrale angekündigt. „Durch ‚Pokémon Go‘ verletzt die Firma Niantic Labs das europäische Recht zum Schutz persönlicher Daten“, sagt Tarabella. So sieht es auch Jan Philipp Albrecht von den Grünen, Berichterstatter des Parlaments für das neue EU-Datenschutzrecht. Das greift zwar erst ab 2018, aber auch nach den jetzt geltenden Vorschriften sei Niantics Umgang mit den persönlichen Informationen unzulässig. „Da werden Standortdaten gesammelt, Bewegungsprofile erstellt und über die Kamera sogar Dritte erfasst.

Die Erhebung und Weiterverwertung solcher Daten, die nichts mit dem Spiel zu tun haben, ist nicht statthaft“, sagt Albrecht. Der Missbrauch ergibt sich laut Tarabella aus den Nutzungsbedingungen, die jeder mit einem Klick beim Herunterladen der App akzeptieren muss. „Ich möchte mal wissen, ob ein einziger Pokémon-Jäger sich die Mühe gemacht hat, diese Bedingungen zu lesen“, sagt Tarabella. „Mehr als 10.000 Worte auf dem Handy – das hakt man lieber im Blindflug ab!“ Damit stimme man einem breitflächigen Verzicht auf Schutzrechte zu. So registriere Niantic die Computer-, E-Mail-, Facebook- und Google-Adressen, speichere GPS-Koordinaten und verfolge die Internetabfragen der Nutzer.

Tarabella beanstandet auch, dass die Firma Niantic sämtliche Spielerangaben zur kommerziellen Nutzung zur Verfügung stehen. Ein Unding, meint der Abgeordnete. Hinter dem Spiel stecke „eine ganze Maschine, um Daten zu sammeln und in die Privatsphäre der Nutzer einzudringen“.

Uneinig sind die EU-Parlamentarier allerdings, was gegen das Übel zu tun ist. Tarabella sieht vor allem die Kommission am Zuge. Die solle auch ein europäisches Alarmsystem aufziehen, wie es das für gesundheitsgefährdende Lebensmittel und riskante Gebrauchsgüter gibt. Die Kommission verweist hingegen auf die Zuständigkeit der nationalen Datenschutzämter. Die stehen auch nach Ansicht des Grünen-Abgeordneten Albrecht in der Verantwortung, Rechtsverletzungen zu ahnden. Saftige Geldbußen – bis zu vier Prozent des Jahresumsatzes – drohen allerdings erst, wenn das zukünftige EU-Regelwerk 2018 in Kraft tritt.

Albrechts christdemokratischer Parlamentskollege Axel Voss findet die Vorwürfe übertrieben. „Ich kann da keinen Abgrund erkennen“, sagt er. Sicher seien die Nutzungsbedingungen von „Pokémon Go“ „an manchen Stellen kritikwürdig“. Grundsätzlich müsse aber der Nutzer akzeptieren, dass für ein solches Spiel die Übermittlung persönlicher Daten notwendig sei. Bei einem kostenlosen Spiel sei das Marketing der Kundeninformationen „üblich und normal“ und auch im künftigen Datenschutzrecht ausdrücklich vorgesehen.