Berlin. Dem SPD-Chef steht politisch ein stürmischer Herbst bevor. Die Gewerkschaften stellen sich gegen ihn

Seit er vor sieben Jahren SPD-Chef wurde, verfolgt Sigmar Ga­briel eisern ein Ziel: Er will die Gewerkschaften wieder mit seiner Partei versöhnen – vom Mindestlohn bis zur Erlaubnis für die Edeka-Tengelmann-Fusion handelte Gabriel auch im Sinne der Arbeitnehmerorganisationen. Doch jetzt heizen ausgerechnet die Gewerkschaften einen Konflikt an, der für Gabriel das politische Aus bedeuten könnte: Der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) mobilisiert gemeinsam mit 30 anderen Organisationen gegen das Ceta-Freihandelsabkommen zwischen EU und Kanada – und stellt sich mit Massenprotesten offen gegen den Wirtschaftsminister, dessen politisches Schicksal an dem Abkommen hängen könnte.

Dem SPD-Chef stehen ohnehin ungewöhnlich schwierige Wochen bevor, zum Schwur aber kommt es am 19. September: Dann soll ein kleiner Parteitag in Wolfsburg über die Position der Sozialdemokraten zum Ceta-Abkommen entscheiden. Vier Tage später will Ga­briel beim Treffen der EU-Handelsminister eigentlich grünes Licht für den Vertrag zwischen EU und Kanada geben. Als Minister und SPD-Chef setzt er seine Autorität für das Abkommen ein. Gabriel hält Ceta für einen strategisch wichtigen und wirtschaftlich richtigen Vertrag – während er erleichtert registriert, dass das TTIP-Abkommen mit den USA wohl nicht mehr zu Ende verhandelt wird.

Doch in der SPD formiert sich Widerstand: Große Teile der SPD-Linken lehnen nicht nur TTIP, sondern auch Ceta ab. Sie sehen frühere Forderungen der Partei nicht erfüllt, verlangen Nachverhandlungen. Die Landesverbände Bayern und Bremen haben sich schon für ein Nein beim Konvent entschieden, weitere dürften folgen.

Wenn Gabriel bei den Genossen unterliegt, werde er seine Ämter zur Verfügung stellen, fürchten Parteifreunde – auch wenn es eine solche Drohung vom Vorsitzenden selbst bisher nicht gibt. Zumindest auf die Kanzlerkandidatur dürfte Gabriel nach einem solchen erneuten Autoritätsverlust verzichten, heißt es. Es wird dennoch knapp auf dem Parteitag. Umso brisanter ist es, dass nur zwei Tage zuvor der DGB mit Organisationen wie Brot für die Welt, dem Paritätischen Wohlfahrtsverband oder Campact zum Protest gegen die Freihandelsabkommen mit Kanada und den USA aufruft. Über 250.000 Teilnehmer werden erwartet, die angeblich größte Demons­tration seit Jahren soll vor dem Konvent Gabriels Gegner stützen. Durch Ceta würden ausländische Investoren privilegiert, weil sie sich auf eine Sondergerichtsbarkeit stützen könnten, warnte Verdi-Chef Frank Bsirske am Dienstag. Die Kritiker sehen Risiken, dass soziale und ökologische Standards oder der Verbraucherschutz verwässert werden könnten – während Gabriel das Abkommen mit Kanada als „Blaupause“ für andere Handelsverträge lobt.

Der Konflikt ist deshalb so gefährlich für Gabriel, weil er ohnehin schon unter Druck steht. Während er sich auf die Kanzlerkandidatur vorbereiten will, muss der Vorsitzende in einem stürmischen Herbst an vielen Fronten kämpfen, die Ungeduld seiner Genossen wächst. Im Streit um die Ministererlaubnis für die Supermarktfusion von Edeka und Tengelmann etwa herrscht nur vorübergehend Ruhe. Das Oberlandesgericht Düsseldorf scheint entschlossen, Gabriels Entscheidung demnächst endgültig zu kippen. Auch wenn Gabriel schon den Bundesgerichtshof angerufen hat, droht eine Blamage, die seine eigentlich gute Bilanz als Wirtschaftsminister trüben würde.

Das Vertrauen der Genossen könnte auch aus anderem Grund bröckeln. Bei den Landtagswahlen in Mecklenburg-Vorpommern und in Berlin drohen den Sozialdemokraten massive Einbrüche, zumindest an der Küste auch der Machtverlust. Schon kursieren in der SPD Gerüchte, Gabriel könne unter dem Eindruck der Wahlergebnisse doch noch gestürzt, zum Rückzug gedrängt oder zumindest als Kanzlerkandidat verhindert werden. Das Szenario hat für seine Kritiker an Schrecken verloren: EU-Parlamentspräsident Martin Schulz und Hamburgs Regierungschef Olaf Scholz haben dezent ihre Bereitschaft signalisiert, als Ersatz bereitzustehen. Das macht den Konvent, einen Tag nach der Wahl in Berlin, so brisant: Wer die SPD-Formation für den Bundestagswahlkampf noch ändern will, wird die Gelegenheit nutzen und Gabriel bei der Ceta-Abstimmung eine Niederlage bereiten.

Gabriel selbst gibt sich so gelassen wie entschlossen, um seine Position zu kämpfen. In der internen Ceta-Debatte stellen sich führende Genossen demonstrativ hinter ihn, auch Schulz und Scholz. Doch die Organisatoren der Ceta-Protestmärsche, die zum Teil eng mit der SPD verflochten sind, wollen ganz gezielt noch Druck auf die Partei machen. Der Mitorganisator und frühere SPD-Umweltpolitiker Michael Müller sagt: „Gabriel versucht, sich mit illusionärer Kunst herauszumogeln, das funktioniert nicht.“

Als Verdi-Chef Bsirske am Dienstag gefragt wird, ob er Gabriel stürzen wolle, antwortet er lakonisch „Nein“. Mehr sagt er auch auf Nachfrage nicht. Dass er Gabriel eine gefährliche Niederlage bereiten will, ist so oder so klar. Bsirkes Mitstreiter Christoph Bautz von der Aktionsplattform Campact sagt es erwartungsfroh so: Die Proteste hätten „das Potenzial, ein innenpolitisches Erdbeben zu erzeugen“.