Berlin.

Rainer Wendt hat keinen Vorrat angelegt. Wenn der Krieg ausbreche, sagt der Vorsitzende der Polizeigewerkschaft, „gehe ich zum Italiener“. Guter Witz. Thomas de Maizière (CDU) wird darüber kaum lachen können. Der Innenminister stellt am Mittwoch ein neues Konzept für den Zivilschutz vor, einschließlich der Empfehlung an die Bürger, sich einen Vorrat an Lebensmitteln und Wasser für zehn Tage anzulegen. An den Reaktionen spürt der Minister, wie fremd vielen Bürgern die Planungen sind. Er ist im Krisenmodus – sie nicht. Einige machen Witze – das Internet ist voll davon –, und die Opposition warnt vor Panikmache. Muss der Staat nicht Vorsorge treffen? Das Tagesgespräch – und seine Vorgeschichte.

Kalter Krieg „reloaded“

Nach den Terroranschlägen 2001 und dem Hochwasser 2002 nahmen sich Bund und Länder ein neues Konzept vor; das bisherige stammt aus dem Jahr 1995. Den letzten Anstoß gab dann Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen (CDU), die vor wenigen Wochen ein „Weißbuch“ vorlegte. Daraus geht hervor, dass die Bundeswehr sich vor allem mit Blick auf Russland auf zwischenstaatliche Konflikte einstellt. So wie sich die Bundeswehr an die neue Lage anpasst, muss es auch der Zivilschutz tun. Der Impuls ist alt, mit den jüngsten Terroranschlägen hat er nichts zu tun. Die Vorarbeiten für die morgige Kabinettsvorlage gehen bis Anfang 2015 zurück. Darum kümmert sich das Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe (BBK) mit 300 Mitarbeitern und Sitz in Bonn. Hier laufen im Ernstfall die Fäden zusammen. Und das BBK ist es auch, das die Bevölkerung warnt, zum Beispiel mit der Warn-App NINA.

2200 Kilokalorien pro Tag

Mit der Meldung über „Hamsterkäufe“ wurde das Anliegen des BKK der breiten Öffentlichkeit schlaglichtartig bewusst. Nicht anders dürfte es dem Ernährungsministerium ergehen, das seit Jahren über Notvorräte informiert und auf der Internetseite ernaehrungsvorsorge.de sogar mit einem Vorratskalkulator hilft. Da kann jeder ermitteln, was er für seinen Haushalt einkaufen müsste, um in einem bestimmten Zeitraum eine tägliche Energiezufuhr von 2200 Kilokalorien sicherzustellen. Die Bürger sollen auch warme Decken, Kerzen, solarbetriebene Ladegeräte und stromnetzunabhängige Radios im Haus haben.

Aufrechterhaltung des Staates

Die „Konzeption Zivile Verteidigung“ (KZV) ist – ohne Titelblatt und Sprechzettel für den Regierungssprecher – 69 Seiten lang und als „VS“ eingestuft: nur für den Dienstgebrauch. Gleich zu Beginn wird ausgeführt, wofür der Bund zuständig ist, nämlich für den Verkehr, Postwesen und Telekommunikation, die Energieversorgung und die Sicherung der Ernährung. Neben der Versorgung der Bevölkerung zielt de Maizière in seinem Schreiben für das Kabinett auf die „Aufrechterhaltung der Staats- und Regierungsfunktionen“ ab. Dazu zählen Ausweichgebäude für die Dienstsitze, gesicherte Stromversorgung und Informationstechnik. Besonders wichtige Infrastruktureinrichtungen sollen sogar gegen nukleare Explosionen „gehärtet“ werden. Im Katastrophenfall soll der Bund Warnungen zentral auslösen.

Notunterkünfte für 800.000

De Maizière hat zuletzt im Juni das Konzept mit den Ländern besprochen. Ohne sie geht gar nichts. Gemeinsam will man Evakuierungspläne erarbeiten. So sollen Plätze für ein Prozent der Bevölkerung geschaffen werden, deutschlandweit etwa 800.000 Menschen. Die Länder werden verpflichtet, „Betreuungseinheiten“ zu schaffen, die Notunterkünfte vorzubereiten, ferner Sanitätseinheiten und Alarmpläne für die Krankenhäuser bereitzustellen.

Vorsorge vor ABC-Angriffen

Bei ABC-Angriffen haben die Einsatzkräfte Vorrang bei der Ausstattung mit Schutzanzügen und bei der Dekontaminierung. Geprüft wird noch, ob für die Bevölkerung Atem- und Körperschutz bereitgehalten werden soll. Der Bau neuer Atombunker ist nicht geplant. Das Konzept regelt jeden Bereich bis ins Detail, zum Beispiel bei der Wasserversorgung: 15 Liter pro Person und Tag, 75 Liter pro Bett und Tag im Krankenhaus, 150 Liter pro Bett bei der Intensivmedizin und 40 Liter „pro Großvieheinheit und Tag“. Genau geregelt ist außerdem, wie lange die Arzneimittelgroßhandlungen Medikamente vorrätig haben müssen (für zwei Wochen). Als „lebenswichtige Grundbedürfnisse“ führt das Konzept Trinkwasser, Ernährung und medizinische Versorgung auf, als „minimale Daseinsvorsorge“ wiederum die Telekommunikation, Bargeldversorgung, Abfallentsorgung und Abwasserbeseitigung. Das Konzept geht aber weit darüber hinaus und regelt auch den Umgang mit Kulturgütern. Zu schützen sind unter anderem Werke der bildenden Kunst, die „üblicherweise in Museen aufbewahrt werden“, Werke der Dichter, Denker und Wissenschaftler, die „üblicherweise in Bibliotheken gesammelt werden“, ferner Schriftgut und Karten aus den Archiven.

Die Gerüchteküche angeheizt

Fast alle Ministerien waren am Konzept beteiligt. Auch die Bundesbank habe ihm zugestimmt, vermerkt de Maizière. „Es ist richtig, Vorsorge zu treffen und sich Katastrophenszenarien vorzustellen“, räumt Spötter Wendt ein. Er findet nur die Kommunikation „unglücklich“, wie er unserer Redaktion sagte. Sie habe dafür gesorgt, „dass die Gerüchteküche angeheizt, Ängste geschürt werden“.