Berlin.

Es klingt wie Science-Fiction, könnte aber bald Realität werden: Während wir am Bahnhof auf den Zug warten oder im Flughafenterminal Kaffee trinken, erfasst eine Überwachungskamera heimlich unser Gesicht und gleicht die individuellen Merkmale mit Bildern einer Polizeidatei ab. Wer auf einer Fahndungsliste steht, wer ins Visier der Sicherheitsbehörden geraten ist, löst Alarm aus. Die Technik gibt es schon, jetzt will Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) auch die rechtliche Grundlage für die Gesichtserkennung schaffen.

Der Vorstoß ist Teil seines Maßnahmenkatalogs für mehr Sicherheit, den der Innenminister in Kürze mit der SPD beraten will. Vorher bereitet de Maizière schon mal die Öffentlichkeit auf diese und andere Eingriffe in den Alltag vor: Die Deutschen müssten sich an höhere Sicherheitsmaßnahmen gewöhnen, sagte er der „Bild am Sonntag“: Mehr Kontrollen, mehr Technik – das sei lästig, unbequem und koste Zeit, sei aber keine Einschränkung der Freiheit. Doch die Opposition schlägt schon Alarm: „Die Gesichtserkennung wäre ein harter Eingriff in die Grundrechte“, sagt Grünen-Innenexpertin Irene Mihalic dieser Zeitung. „Solche Vorschläge haben den präventiven Überwachungsstaat vor Augen.“ Ändert die Terrorabwehr unser Leben doch mehr, als wir dachten?

Strengere Kontrollen

De Maizière mahnt: „Wir werden uns an längere Schlangen und stärkere Kontrollen gewöhnen müssen.“ Im Blick hat er auch personengebundene Eintrittskarten, bei denen das Ticket auf den Namen eines bestimmten Gastes ausgestellt ist. Das gibt es vereinzelt schon heute, zum Beispiel bei größeren Fußballturnieren – allerdings weniger aus Sicherheitsgründen, sondern um den Schwarzmarkthandel einzudämmen. Für die Besucher bedeutet das personalisierte Ticket Mehraufwand.

Gesichtserkennung

De Maizière will nicht nur die bisherige Videoüberwachung forcieren und etwa verstärkt Einkaufszentren aufrüsten. Er kündigt auch den Einsatz von Gesichtserkennungssoftware bei Videokameras an Flughafen und Bahnhöfen an – als Beitrag zur Terrorabwehr. „Wenn ein Verdächtiger auftaucht und erkannt wird, zeigt das System das an“, erklärt der Minister.

Die Technologie gibt es schon, seit durch einen Entwicklungssprung die Identifizierung von Gesichtern auch aus ungünstigen Blickwinkeln möglich ist und damit die Fehlerquote drastisch reduziert wird. Die Software wandelt individuelle Gesichtsmerkmale in einen Datensatz um und gleicht den mit gespeicherten Daten ab.

Probleme bereiten nur übergroße Sonnenbrillen als Tarnung – und natürlich eine Burka, womit die Debatte über ein Vollverschleierungsverbot plötzlich doch eine sicherheitspolitische Facette bekommt. Die Gesichtserkennung gilt als großer Zukunftsmarkt der Softwarebranche: Autohersteller wollen damit ihre Bordcomputer aufrüsten. Und Facebook bietet eine Funktion an, die aufgenommene Fotos nach Gesichtern der eigenen Freunde scannt. Die russische Software FindFace macht es bereits möglich, jedes beliebige Gesicht weltweit in sozialen Netzwerken zu suchen. De Maizière verweist auf diesen Trend. Was Privatpersonen möglich sei, solle auch die Polizei tun können. In Datenbanken nutzen Ermittler den Fotoabgleich ohnehin. Die Gesichtserkennung soll nun live das übernehmen, was früher das Fahndungsfoto leistete. Sie könne perspektivisch mit gleicher Zuverlässigkeit wie der Fingerabdruck Personen identifizieren, meint der Minister. Und: Ähnliche Systeme könnten weitere Aufgaben erfüllen, etwa herrenlose Koffer identifizieren.

In Berlin bereitet die Bundespolizei den Test einer Videosoftware vor, die auf Bahnhöfen verdächtige Bewegungen von Personen erkennen soll, aber auch Alarm schlägt, wenn etwa ein Koffer längere Zeit nicht bewegt wurde. Die Bundespolizei nutzt auch schon die biometrische Gesichtskontrolle etwa an Flughäfen: Beim „EasyPASS“ wird der Reisepass von einem Lesegerät gescannt, eine Kamera vergleicht dann das Gesicht des Reisenden mit dem Foto.

Allerdings: Was de Maizière jetzt vorschwebt, sei für den flächendeckenden Einsatz noch gar nicht nutzbar, sagt SPD-Innenexperte Burkhard Lischka dieser Zeitung. „Das ist erst in einigen Jahren ausgereift.“ Grundlegende Bedenken habe die SPD nicht: „Darüber kann man sich unterhalten“, meint Lischka.

Aber aktuell sei das eher ein Nebenaspekt. „Wir brauchen bessere IT-Ausstattung erst mal in der Breite“, sagt der SPD-Politiker. „Die Polizei arbeitet mit 10 bis 15 Jahre alten Computern, oft teilen sich mehrere Beamte ein Gerät – da muss sich die Polizei doch verschaukelt vorkommen, wenn der Innenminister jetzt einen solchen Vorschlag macht.“ Entscheidend sei zudem, wer in eine solche Datei aufgenommen werde. Das ist auch einer der Einwände der Grünen, die von einem „höchst problematischen Vorschlag“ sprechen: „Es reicht ja nicht, das Gesicht zu erkennen – man wird auch Dateien anlegen müssen von jenen, die man erkennen will“, meint Mihalic. Gesetzgeberisch werde das kein Spaziergang: „Schon die Videoüberwachung ist ein gravierender Eingriff in Grundrechte, hier wäre der Eingriff um ein Vielfaches schwerer.“ Es sei ein trügerischer Gedanke, dass mehr Technik für mehr Sicherheit sorge. „Wir dürfen uns an solche anlasslose Überwachung nicht gewöhnen“, sagt die Innenexpertin. „Am Ende geben wir Freiheitsrechte auf – aber wir bekommen nicht mehr Sicherheit.“ Datenschützer warnen, dass mit der neuen Technik auch Bewegungsprofile erstellt werden könnten.

Rucksackverbot

„Ein Rucksackverbot bei bestimmten Großveranstaltungen kann sinnvoll sein“, sagt de Maizière. Bei Anschlägen in der Vergangenheit hatten die Attentäter Waffen und Sprengsätze häufig in Rucksäcken transportiert. Allerdings gibt es solche Auflagen schon jetzt bei bestimmten Veranstaltungen, in diesem Jahr erstmals auch beim Münchner Oktoberfest. „Das können die Behörden heute schon machen, wenn sie es für nötig halten“, sagt die Grüne Mihalic. „Der Innenminister betreibt mit seinen Vorschlägen einmal mehr Symbolpolitik – damit muss endlich Schluss sein.“