Berlin.

Für Angela Merkel ist es wohl eine der intensivsten Wochen ihrer Amtszeit – zumindest in der Europa-Politik. In diesen Tagen macht sich die Bundeskanzlerin daran, die Scherben aufzukehren, die der Brexit-Schock in Europa angerichtet hat. Die Regierungen zwischen Paris, Berlin und Budapest sind ratlos, versuchen die Gemeinschaft neu zu definieren. Die alles entscheidenden Fragen: Mehr oder weniger Gemeinschaft? Und was ist der substanzielle Kitt der EU? Auf Merkel wartet eine Herkulesaufgabe.

Die Kanzlerin versucht es zunächst mit einer Rückkehr zu den kerneuropäischen Wurzeln. Heute trifft sie sich auf der Miniinsel Ventotene vor Neapel mit dem französischen Präsidenten François Hollande und dem italienischen Premierminister Matteo Renzi. Danach fliegt sie nach Estland, Tschechien und Polen – allesamt Kritiker von Merkels Flüchtlingspolitik und Warner vor zu viel Brüsseler Bürokratismus.

Der Dreiergipfel mit Hollande und Renzi ist Symbolpolitik

Am Freitag und Sonnabend endet der Gesprächsmarathon dann auf Schloss Meseberg. Es kommen die Regierungschefs aus den Niederlanden, Finnland, Schweden, Dänemark, Slowenien, Bulgarien und Kroatien. „Es geht darum, möglichst breit aufgestellt mit möglichst vielen unserer europäischen Partner zu sprechen – und zwar ergebnisoffen“, beschreibt Merkels Sprecher Steffen Seibert den Zweck der mehrere Tage dauernden Pendelmission.

Der Dreiergipfel in Italien hat viel mit Symbolpolitik zu tun. Auf der Insel Ventotene hatte der italienische Europa-Vordenker und Kommunist Altiero Spinelli gemeinsam mit anderen 1941 das „Manifest von Ventotene“ verfasst, in dem sie für die Vereinigung Europas warben. Merkel, Hollande und Renzi wollen Spinellis Grab besuchen – und damit ein Zeichen für den Zusammenhalt nach dem Brexit-Votum setzen.

Symbolisch ist auch der Ort der Gespräche des Trios und der Pressekonferenz: Dazu wird extra ein Flugzeugträger herangefahren. Nicht nur aus Sicherheitsgründen und aus Angst vor Terroranschlägen: Das Marineschiff „Garibaldi“ ist Flaggschiff der Operation „Sophia“, die im Mittelmeer Menschenschmuggler aufspüren soll.

Von der Dreierbegegnung solle ein starkes Signal für Europa ausgehen, heißt es im Kanzleramt. Ob dabei außer wohlklingenden Bekenntnissen viel herauskommt, ist allerdings fraglich. Bereits bei einem Treffen von Merkel, Hollande und Renzi kurz nach dem Brexit-Referendum gab es eine wortreiche Erklärung zu mehr Zusammenarbeit beim gemeinsamen Schutz der Außengrenzen, beim Kampf gegen den Terror, bei der Förderung von Wachstum und Jobs sowie bei einem Programm zur Verminderung der Jugendarbeitslosigkeit in Europa. Es war ein Wunschkatalog, dessen Umsetzung noch immer auf sich warten lässt.

Weitere Hürde: Paris und Berlin ziehen nicht durchgängig an einem Strang. So präsentierten Außenminister Frank-Walter Steinmeier und sein französischer Kollege Jean-Marc Ayrault ein Papier, das mehr Kooperation bei Sicherheit und Migrationsthemen in der Eurozone vorschlug. Merkel reagierte zurückhaltend und plädierte für einen Weg, der sich für „ein besseres Europa“ statt „mehr Europa“ aussprach. Zudem verlangt Paris einen laxeren Umgang mit den EU-Regeln zur Haushaltsstabilität. Die Bundesregierung, und hier vor allem Finanzminister Wolfgang Schäuble, pocht hingegen auf eine strenge Auslegung der Defizitziele.

In dieser Frage hat die Kanzlerin die Rückendeckung durch die Regierungschefs in Mittel- und Osteuropa. Diese haben sich – wie die Briten – immer wieder für mehr Wirtschaftswachstum und weniger Schulden, für mehr nationalstaatliche Kompetenz und weniger Brüssel starkgemacht.

In der Flüchtlingspolitik sind die Osteuropäer jedoch nach wie vor auf Anti-Merkel-Kurs. Das dürfte die Kanzlerin beim Treffen mit den Ministerpräsidenten Polens, Ungarns, Tschechiens und der Slowakei am Freitag in Warschau zu spüren bekommen. Die vier Visegrad-Staaten sperren sich gegen die von Merkel geforderte dauerhafte Umverteilung von Flüchtlingen in der EU.

Dass damit die Existenzfrage für die EU gestellt wird, glaubt man in der Bundesregierung allerdings nicht. Selbst Polens Regierung habe deutlich gemacht, dass sie mit Blick auf Russland in der Sicherheits- und Verteidigungspolitik sehr wohl einen engeren Schulterschluss mit der Gemeinschaft wolle, heißt es. Polen und Ungarn gehören zudem zu den Hauptprofiteuren der EU-Finanzhilfen, über die bald wieder verhandelt werden muss. Nach einem Ausscheiden des Nettozahlers Groß-britannien müssen sie fürchten, wesentlich weniger Geld zu erhalten. Polen braucht zudem Unterstützung für die Position, dass die Freizügigkeit für die vielen Landsleute in Großbritannien nicht eingeschränkt wird. „Das macht sie kompromissbereiter“, ist man sich in der Bundesregierung sicher. Eines ist sicher: Merkels Woche wird eine Woche des diplomatischen Fingerhakelns. Dass damit der Durchbruch für den nächsten informellen Gipfel der „Rest-EU“ (ohne Großbritannien) am 16. September in Bratislava erzielt wird, erwartet jedoch niemand. Regierungssprecher Steffen Seibert stapelt erst einmal tief: Bratislava werde „nicht zu Beschlüssen führen“. Der Reflexionsprozess werde auch danach weitergehen.