Kairo.

Beide Seiten setzen aufs Ganze. Beide Seiten werfen alles in die Schlacht. In Aleppo könnte sich in den nächsten Monaten der syrische Bürgerkrieg entscheiden – das Schicksal der Opposition genauso wie das Schicksal des Regimes. Entsprechend erbittert sind die Kämpfe und verworren die Fronten. Kurdische YPG-Einheiten, die ansonsten mit den USA gegen den „Islamischen Staat“ (IS) kämpfen, halfen dem Assad-Regime, den aufständischen Osten Aleppos einzukesseln. Ausgerechnet Al-Qaida-Brigaden, die von Washington als Terrororganisation geführt werden, sprengten am Wochenende die Belagerung wieder auf und bewahrten damit auch die internationalen Genfer Gespräche vor ihrem finalen Kollaps. Das Regime in Damaskus wiederum bietet derzeit alles an Verbündeten auf, um die drohende Strangulierung der eigenen Stadthälfte abzuwehren – Einheiten der Hisbollah, iranische und irakische Milizen, ja selbst palästinensische Hilfskommandos.

Al-Qaida-Brigaden als Helden der syrischen Opposition

Bashar al-Assads Soldaten dagegen scheinen nach gut fünf Jahren Krieg so ausgelaugt, dass sie den zu allem entschlossenen Dschihadisten trotz massiver russischer Luftunterstützung nicht mehr standhalten.

Aleppo mit seinem blutigen Jeder gegen Jeden ist ein Mikrokosmos des syrischen Bürgerkriegs. Zwar betont der russische Außenminister Sergej Lawrow gern und oft, eine militärische Lösung in Syrien könne es nicht geben. Faktisch aber agiert das Expeditionskorps des Kremls seit fast einem Jahr so, als wenn sich der Sieg auf dem Schlachtfeld sehr wohl noch erzwingen ließe. Und so wurde bei den Genfer Gesprächen bisher nie ernsthaft verhandelt. Stattdessen nutzte das Assad-Regime, beflügelt von seinen russischen Waffenbrüdern, UN-Vermittler Staffan de Mistura nur als diplomatische Kulisse, um die Fronten rund um Aleppo, um eine Vorentscheidung zu erzwingen.

Seit dem Wochenende jedoch sieht alles wieder anders aus. Der Moskauer Generalstab hat seine strategische Rechnung offenbar ohne die verschlissene syrische Armee gemacht. Und so könnte mit einer Wende in Aleppo jetzt auch in Moskau die Einsicht reifen, dass dieser Konflikt mit Raketen, Flugzeugen und Panzern allein nicht zu gewinnen ist und nur die blutige Tragödie des syrischen Volkes immer weiter vergrößert.

Denn der Zeitpunkt einer militärischen Intervention von außen, die den Krieg hätte beenden können, ist längst verpasst. Vielleicht wäre das noch im August 2013 möglich gewesen, als das Regime unter den Augen internationaler Waffenexperten kaltblütig und demonstrativ Wohnviertel Aufständischer nahe Damaskus mit Giftgas beschoss. Drei Jahre und 100.000 Tote später existiert diese militärische Option nicht mehr, eine Einsicht, die mit dem Drama um Aleppo jetzt auch dem Kreml ins Haus stehen dürfte. Seine Luftwaffe kann Assads Armee keine permanente Übermacht herbeibomben. Stattdessen macht das massive Wüten der russischen Kampfjets ausgerechnet die Al-Qaida-Brigaden zu den gefeierten Helden der syrischen Opposition. In einer ähnlichen Klemme stecken auch die USA. Ihr Luftkrieg gegen die Al-Nusra-Front schwächt gleichzeitig die moderaten Rebellen. Diese unterhalten mit den islamistischen Elitetruppen zahlreiche lokale Waffenbündnisse und wären ohne deren Kampfkraft längst untergegangen. Entsprechend reduziert jede systematische Bombardierung von Al Qaida auch die strategische Bedrohung für das Assad-Regime – und unterhöhlt dessen Bereitschaft, wirklich zu verhandeln. Trotzdem könnte das amerikanische Doppelziel, zusammen mit den Russen den verheerenden Syrienkonflikt zu beenden und gleichzeitig die radikalen Dschihadisten niederzuringen, durch ein Scheitern der Regimeblockade Aleppos neu belebt werden – und zwar ausgerechnet durch die Kesselbrecher von Al Qaida. Deren Sieg dürfte auch in Moskau klarmachen, dass einzig eine in Genf ausgehandelte politische Übergangsführung diesen globalen Krisenherd tatsächlich beenden kann.