Berlin.

Die Terroristen von al-Qaida töteten 2001 in New York auf einen Schlag 3000 Menschen. Mehr als zwei Jahre bereiteten die Angreifer ihre Tat in der „Hamburger Zelle“ vor. Auch die Terrororganisation „Islamischer Staat“ kann töten wie al-Qaida. Im November 2015 griff eine „Zelle“ acht Orte in Paris zeitgleich an, 130 Menschen starben. Die Drahtzieher waren ausgebildet in Syrien und entsandt von der IS-Führung. Die Attentäter von Würzburg und Ansbach verletzten mehrere Menschen, zum Teil schwer, aber sie töteten niemanden. Sie gingen wenig „professionell“ vor, nutzten keine Hightechwaffen, sondern in Würzburg eine Axt, in Ansbach eine selbst gebastelte Bombe. In Nizza reichte ein großer Lastwagen.

Einfache Mittel – und doch mit verheerender Wirkung, vor allem für die Opfer, aber auch für das Sicherheitsgefühl der Bürger. Auch das ist eine der Terrorstrategien des IS, zudem sich zuletzt alle Angreifer bekannten. Das zeigt: Die IS-Strategie funktioniert, mehrere Wege werden genutzt, um Anhänger zum Dschihad zu bewegen, manchmal sind sie sogar widersprüchlich. Das nimmt der IS in Kauf, denn das Ziel ist klar: „Ungläubige“ töten.

Jedermann-Dschihad
Die Anschläge der vergangenen Monate zeigen, dem Handeln von islamistisch motivierten Attentätern setzt der IS keine Grenzen. Im Gegenteil: In seiner Propaganda verfolgt die Organisation, ähnlich wie auch rechtsterroristische Gruppen, die Strategie des „Alles ist erlaubt“. Er organisiert einerseits selbst Terrorangriffe und leitet seine Kämpfer nach und in Europa – wie in Paris und Brüssel. Auch der Attentäter von Ansbach soll nach neuen Erkenntnissen der Ermittler „geführt“ worden sein, nicht direkt, aber durch einen Chat im Internet – eine Art „ferngesteuerter“ Dschihad. Andererseits spricht der IS jeden an, der sich zum „globalen Dschihad“ zugehörig fühlt. Das Motto: „Egal, was du tust – Hauptsache, du tötest.“ Der IS funktioniert als Projektionsfläche für Gewalt. Die Täter radikalisieren sich alleine und sind nicht verbunden mit der Kernorganisation. Der Angriff in Würzburg verlief nach diesem Muster. Per selbst gedrehtem Handy-Bekennervideo machte sich Riaz A. zu einem Teil der Gruppe. Der IS bettete es danach in seine professionelle Propaganda ein und suggerierte so eine Lenkung des Täters.

Terror als „Vergeltung“
Der IS nutzt auch das massenhafte Töten in Syrien für seine Strategie. Bilder von zerfetzten Kinderleichen nach Attacken durch Assads Truppen und von alliierten Luftangriffen kaputtgebombte Häuser postet der IS zuhauf über Propagandakanäle. Der Dschihadist wird damit zu einem „humanistischen Kämpfer“ stilisiert. Die Verbrechen der Terrormiliz an Kurden, Jesiden und Muslimen sowie die Angriffe auf Zivilisten in Westeuropa inszeniert der IS als „Vergeltungsakte“, als „Rache“. In den Bekennervideos der Attentäter von Ansbach und Würzburg findet sich genau diese vom IS vorgegebene Rhetorik. Das Feindbild „Westen“ wird in der IS-Strategie noch bestärkt durch das Unvermögen des Westens, einem verbrecherischen Diktator wie Baschar al-Assad Einhalt zu gebieten, dessen Truppen Hunderttausende Menschen in Syrien durch Bomben getötet haben.

Sakralisierung der Wut
Die Al-Qaida-Täter vom 11. September 2001 waren ideologisch geschult und studierten an der Universität von Hamburg. Sie waren keine „Verlierertypen“. Der IS inszeniert die Muslime dagegen häufig als „Opfer“, die vom „Westen“ terrorisiert werden. Vor allem junge Männer fühlen sich angesprochen, weil sie ihre Lebenslage in Vorstadtgettos oder Asylunterkünften selbst als „verloren“ und „ausweglos“ empfinden – sie sehen sich als „Opfer“ und entwickeln Hass gegen die etablierte Gesellschaft. „Was sie brauchen, ist Selbstbestätigung“, schreibt der Soziologe Farhad Khosrokhaver in seinem Buch „Radikalisierung“. Für den IS ist diese Unterschicht von Ausgegrenzten, Arbeitslosen und Kleinkriminellen ein Reservoir potenzieller Kämpfer. Die Strategie: Ihre Wut durch Propaganda umwandeln in „heiligen Zorn“. „Für eine Selbstinszenierung als Motiv ist ein IS-Kontext die derzeit höchste Stufe der Aufmerksamkeit – fasst man es böswillig, wird einem isolierten und gescheiterten Menschen posthum der Titel des Terroristen verliehen“, sagt Kurt Edler, der seit Jahren zur Radikalisierung arbeitet.

Das „dschihadistische Volk“
Typisch für Attentäter ist: Sie empfinden nicht Zugehörigkeit zu einer westlichen Nation oder Kultur – sondern zum „dschihadistischen Volk“, schreibt der Philosoph Philippe-Joseph Salazar in „Die Sprache des Terrors“. Deutschland oder Frankreich vermitteln manchen jungen Menschen kein Identitätsgefühl. In diese Lücke stößt der IS. Der IS sieht sich als Ausdruck einer „Neo-Umma“, also einer neuen, revolutionären Idee einer muslimischen Gemeinschaft. Wie jedes „Volk“ kreiert auch der IS eine vorgestellte Gemeinschaft – weltweit, ideell verbunden vor allem durch die Ausrufung des Kalifats in Syrien und durch das Internet. Bekennerschreiben verfasst der IS in mehreren Sprachen. Der IS sieht sich als Staat und ist auch ein staatsähnliches Gebilde. Er verbreitet eine politische Ideologie – nur unterteilt er Freund und Feind nicht in links und rechts, sondern in „Gläubige“ und „Ungläubige“. Religion wird zu einer Form des Populismus, der keine nationalen Grenzen kennt. Und Kirchen werden zu Zielen, wie jetzt in Frankreich.