Paris.

Frankreich kommt einfach nicht zur Ruhe. Zwei bewaffnete Männer sind am Dienstag in eine katholische Kirche in der Normandie eingedrungen und haben alle sechs anwesenden Menschen als Geiseln genommen. Sie schnitten dem die Morgenmesse zelebrierenden Priester die Kehle durch und verletzten eine weitere Geisel schwer, bevor sie von der Polizei getötet wurden. Keine zwei Wochen nach dem Blutbad auf der Uferpromenade von Nizza ist das Land damit wieder Opfer eines terroristischen Angriffs geworden.

Eigentlich befand sich Jacques Hamel bereits seit fünf Jahren im Ruhestand. Die Aufgabe, die Morgenmesse in seiner ehemaligen Gemeinde von Saint-Etienne-du-Rouvray zu lesen, hatte der 86-jährige Priester trotzdem übernommen – als Urlaubsvertretung. Doch er sollte die Zeremonie in der zehn Kilometer südlich von Rouen gelegenen Kleinstadt nicht mehr beenden: Zwei Männer betraten die Kirche durch den Hintereingang und bedrohten den Priester, drei Ordensschwestern sowie zwei Kirchgänger mit Waffen. Einer der Nonnen gelang es in den ersten Minuten dieser Geiselnahme, zu fliehen und Alarm zu schlagen.

Keine 15 Minuten später war die Kirche umstellt und die Gegend abgesperrt. Kurz darauf traf Verstärkung aus Rouen ein, darunter Mitglieder einer auf Geiselnahmen spezialisierten Eliteeinheit. Höchstwahrscheinlich hatten die Täter zu diesem Zeitpunkt Jacques Hamel bereits ermordet und einen der Kirchgänger so schwer verletzt, dass sie ihn für tot hielten. Kurz vor elf Uhr stürmten die Geiselnehmer ins Freie, schrien „Allahu akbar“, fuchtelten mit ihren Waffen herum. Auch eine Sprengstoffattrappe hatten sie dabei. Sie wurden auf der Stelle erschossen. „Die wollten sterben – als Märtyrer“, sagte ein Sprecher der Polizeigewerkschaft später. Bereits kurz nach Mittag, als der Anti-Terror-Staatsanwalt in Paris die Ermittlungen übernahm, trafen Staatspräsident François Hollande und Innenminister Bernard Cazeneuve vor Ort ein. Hollande sprach von einem „niederträchtigen Terroranschlag“ und machte publik, dass sich die beiden Täter zur Terrormiliz „Islamischer Staat“ (IS) bekannt haben sollen. „Der IS hat uns den Krieg erklärt“, sagte das Staatsoberhaupt, „aber wir werden alles tun, um diese Bedrohung abzuwenden.“ Katholiken und Angehörige anderer Religionsgemeinschaften müssten zusammenstehen.

Es waren nicht nur die Umstände des Angriffs, die den Verdacht aufkommen ließen, dass es sich um ein islamistisches Attentat handelt. Einer der Täter stand wegen Terrorverdachts unter Aufsicht der Justiz und trug eine elektronische Fußfessel: Der 19-jährige Franzose Adel Kermiche habe 2015 zweimal versucht, nach Syrien zu reisen, sagte der Pariser Staatsanwalt François Molins. Er wurde einmal in Deutschland, einmal in der Türkei gestoppt und festgenommen. In diesem März wurde er aus der Untersuchungshaft entlassen und unter Hausarrest gestellt. Nur selten durfte er seine Wohnung verlassen.

Im Laufe des Nachmittags bekannte sich der IS im Internet zu dem Anschlag. Bei den Attentätern, meldete das IS-Sprachrohr Amak, handele es sich um Soldaten des „Islamischen Staats“. Die IS-Propaganda hatte Kirchen, „in denen sich die Ungläubigen versammeln“, schon mehrfach als bevorzugte Anschlagsziele ausgelobt.

Religiöse Einrichtungensind besonders gefährdet

In Frankreich stehen religiöse Einrichtungen sämtlicher Konfessionen bereits seit dem April 2015 auf der Liste der besonders zu schützenden Objekte. Damals war zufällig ein Anschlag auf eine katholische Kirche in einem Vorort von Paris verhindert worden. Der Attentäter wollte kurz zuvor ein Fluchtfahrzeug rauben, erschoss dabei dessen Besitzerin und fügte sich selbst eine schwere Schusswunde zu.

Dem Appell von Präsident Hollande an alle Gläubigen im Land, sich nicht gegeneinander aufhetzen zu lassen, weil genau dies die Absicht der Terroristen sei, schloss sich der Sprecher der französischen Bischofskonferenz an. Auch Papst Franziskus meldete sich zu Wort und verurteilte die Geiselnahme als „sinnlose Gewalt“.

Dass die Sicherheitskräfte bei der Geiselnahme in Saint-Etienne-du-Rouvray so rasch zum Einsatz kamen, ist dem Ausnahmezustand zu verdanken, der als Reaktion auf die blutige Pariser Anschlagsserie im November 2015 mit 130 Toten verhängt wurde. Nach dem Attentat in Nizza mit 84 Toten wurde er bis Anfang 2017 verlängert.