Berlin.

Als Jan Nöther am vergangene Freitagabend auf dem Flughafen in Istanbul landet, ahnt er nicht, dass nur zwei Stunden später Teile des Militärs die Stadt ins Chaos stürzen würden. Fast wäre der Leiter der Deutsch-Türkischen Industrie- und Handelskammer in dieser blutigen Nacht nicht mehr nach Hause gekommen – hätte sich seine Maschine aus Ankara nur etwas verspätet. Zeitweise hatten die Aufständischen auch den Atatürk-Flughafen unter Kontrolle.

So aber verfolgt Nöther die Geschehnisse vorm Fernseher. Und während er das Rattern der über der Stadt kreisenden Hubschrauber von draußen vernimmt, wird ihm klar, was das für seine Arbeit bedeuten wird. Am darauffolgenden Montag hört sein Telefon nicht mehr auf zu klingeln. Besorgte Geschäftsmänner wollen wissen: Wie sollen sie es nun halten mit der Türkei?

Die Terroranschläge, der Bürgerkrieg im Nachbarland Syrien, nun der versuchte Putsch und der Ausnahmezustand: In der Türkei ist der Unruhezustand zum Dauerzustand geworden. Und fürs Geschäft ist nichts schlechter als Unsicherheit. Rund 6500 deutsche Firmen halten Geschäftsbeziehungen in die Türkei, darunter sind nahezu alle Dax- und Großkonzerne. Siemens etwa beschäftigt 3000 Mitarbeiter und macht rund eine Milliarde Euro Umsatz in der Türkei. Für den Handelskonzern Metro arbeiten 7000 Mitarbeiter. Doch es stellt sich die Frage: Wie lange noch?

Die große Unsicherheit werde zu einem Rückgang der Investitionen deutscher Unternehmen führen – damit rechnet der Ökonom des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung, Malte Rieht. Klar ist, autoritäre Reaktionen des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan wie die Amtsenthebung von rund 2700 Richtern schrecken deutsche Kaufleute ab. Wer weiß schon, wie die Neuen an den Gerichten urteilen?

In Nöthers Kalender waren für diese Woche fünf Gespräche mit deutschen Unternehmen eingetragen, die sich für eine Investition in der Türkei interessieren. „Bis auf ein Unternehmen haben alle ihre angesetzten Reisen verschoben“, sagt Nöther. Ein Autozulieferer frage sich nun, ob seine Beziehung zu einem Lieferanten in der Türkei noch stabil sei, berichtet Nöther. „Er wird nun wohl zunächst einen zusätzlichen Puffer im Lagerbestand aufbauen.“ Auch das Logistikunternehmen DB Schenker ist am Bosporus aktiv. Rund 450 Mitarbeiter beschäftigt Schenker Arkas dort. „Geschäftsreisen in die Türkei werden nach Möglichkeit verschoben“, sagte ein Sprecher von DB Schenker dieser Redaktion. Investitionen hingegen würden langfristig geplant, es werde sich erst in den nächsten Wochen und Monaten zeigen, wie sich der Putschversuch konkret auf das wirtschaftliche Umfeld in der Türkei auswirke.

Nöther beobachtet, dass vor allem mittelständische Unternehmen die Lage als undurchsichtig einstufen, „manche verschieben Investitionen in der Türkei“. Die großen Dax-Konzerne hingegen lassen sich nicht aus der Ruhe bringen. Ein Sprecher von Metro etwa sagte dieser Zeitung, alle 29 Großmärkte und 45 Media-Märkte in der Türkei seien derzeit geöffnet. Siemens will sich zur Lage nicht äußern.

Mit seinem autoritären Politikstil droht Erdogan nicht nur ausländische Investoren zu verprellen. Sein Wandel zum Autokraten droht auch die eigene Machtbasis zu schmelzen. Denn bisher war seine recht ansehnliche Wirtschaftsbilanz ein Grund, weshalb viele Türken den Präsidenten unterstützen. Das Land ist auf ausländische Unternehmen und ausländisches Geld angewiesen, denn es fragt mehr Waren nach, als es selbst herstellt und exportiert. Es baut somit Auslandsschulden auf, die finanziert werden müssen. Auch Innovationen kommen vielfach von ausländischen Firmen.

Nun aber unterliegt die türkische Lira starken Wechselkursschwankungen. Am Dienstag senkte die türkische Zentralbank die Zinsen weiter, um die Konjunktur mit billigem Geld zu stützen. Der Ökonom Rieht warnt vor dem Einfluss der Regierung auf die Notenbank: „Wenn die türkische Regierung die Unabhängigkeit der Zentralbank weiter untergräbt, wird das langfristig wohl zu mehr Inflation führen.“ Trotz allem mahnt Nöther vor Übertreibungen: Die Entwicklung der Wirtschaft habe in der türkischen Regierung Priorität. „Ich gehe davon aus, dass dies auch künftig so bleiben wird.“