Berlin.

Diese beiden Frauen haben verblüffend viel gemeinsam, eigentlich müssten sich Angela Merkel (62) und Theresa May (59) hervorragend verstehen. Die beiden Pastorentöchter gelten als zielstrebig, besonnen und pragmatisch. Sie wandern gern in den Bergen, sind mit zurückhaltenden Männern verheiratet und kinderlos – und an die Spitze ihrer konservativen Parteien haben es die Kanzlerin und die britische Premierministerin erst geschafft, als sich die männliche Konkurrenz in der Krise verdrückte.

Als Theresa May am Mittwochnachmittag zum Antrittsbesuch im Kanzleramt eintrifft, ist der Empfang zwar freundlich. Merkel lobt die „engen freundschaftlichen Beziehungen“ beider Länder, May verspricht eine „starke, konstruktive Partnerschaft“. Eine persönliche Freundschaft aber bahnt sich da nicht an: May und Merkel begegnen sich als Mrs. Brexit und Frau Europa – die eine soll die Briten aus der EU führen, die andere will die EU retten und es den Briten deshalb schwer machen. Beim Arbeitsdinner redeten beide Klartext.

Immerhin, Mays Visite ist eine besondere Geste: Gleich ihr erster Auslandsbesuch führte sie nach Berlin, das gab es noch nie in der britischen Geschichte – traditionell reisten britische Premiers nach ihrem Amtsantritt erst mal nach Washington zur Pflege der besonderen Beziehungen, in letzter Zeit wurde meist zuerst Paris angesteuert. Doch Frankreichs Präsident François Hollande muss sich gedulden, May wird ihn am Donnerstag beehren. Die erste Frau an der britischen Regierungsspitze seit dem Rücktritt von Margaret Thatcher 1990 gibt der mächtigsten Frau Europas den Vorzug.

Es ist die erste persönliche Begegnung der beiden. Merkel und May hatten bislang nur einmal telefoniert. Die gegenseitige Neugier ist groß. Doch beim Thema Brexit schenken sich beide nichts: „Brexit bleibt Brexit, wir wollen daraus einen Erfolg für Großbritannien machen“, stellt May im Kanzleramt klar. Dabei gehörte sie gar nicht zu den Befürworten des EU-Ausstiegs, in der Debatte vor dem Referendum hielt sie sich zurück. Aber als Regierungschefin will May den Volksauftrag nun durchsetzen. Mit Merkel, die stets gegen den EU-Austritt war, will sie deshalb eigentlich „diskutieren“, wie der Abschied „geordnet“ umgesetzt werden kann – auch wenn sie sich mit der Austrittserklärung Zeit bis Ende des Jahres lassen will. Merkel indes bekräftigt in Anwesenheit ihres Gastes, dass sie auf keinen Fall „Vorverhandlungen“ über den Brexit führen wird.

Die Linie der Kanzlerin ist klar, die Botschaft kühl: Erst Austrittserklärung, dann eine Festlegung der EU auf Leitlinien, dann Verhandlungen – von denen Merkel schon jetzt ahnt, dass sie „anstrengend“ werden. Zunächst aber müsse sich Großbritannien klar werden, wie es die künftigen Beziehungen zur EU handhaben wolle. Eine Sonderrolle in Europa will Merkel Großbritannien nicht zugestehen. „Rosinenpickerei“ soll es nicht geben.

Großbritannien verzichtet auf EU-Ratspräsidentschaft 2017

Wenn die Briten Zugang zum EU-Binnenmarkt haben wollten, müssten sie die Grundfreiheiten – vor allem die Freizügigkeit – akzeptieren, fordert die Kanzlerin. May dagegen will die Arbeitnehmerfreizügigkeit innerhalb der EU für Großbritannien beenden. Die britischen Wähler hätten die Botschaft ausgesandt, dass sie die Einwandererzahlen aus der EU kontrollieren wollten, sagt sie.

May hatte unmittelbar vor dem Termin im Kanzleramt auch angekündigt, dass Großbritannien nicht wie geplant in der zweiten Jahreshälfte 2017 die EU-Ratspräsidentschaft übernimmt. Die Regierung werde „sehr mit den Austrittsverhandlungen beschäftigt sein“, sagte May in einem Telefonat mit EU-Ratspräsident Donald Tusk. Ganz überraschend kommt der Verzicht nicht, aber es ist der erste konkrete Schritt, den die Regierung jetzt in Richtung Brexit unternimmt.

Viel Konfliktstoff also, aber es gibt auch freundliche Töne: Großbritannien werde sich nicht von seinen europäischen Freunden abwenden, verspricht May. Deutschland sei zweitgrößter Handelspartner und einer der wichtigsten Direktinvestoren in ihrem Land. Auch Merkel beschwört die gute Zusammenarbeit, die den Umgang mit dem Brexit prägen werde. Großbritannien spielt ja vorerst selbst in der EU weiter eine Rolle, heißt es in Berlin. Die Partnerschaft mit den Briten bleibe auch außenpolitisch wichtig. So berieten Kanzlerin und Premierministerin über die Entwicklung in der Türkei, den Kampf gegen die Terrormiliz IS oder die Bewältigung der Flüchtlingskrise. Merkel will wissen, was es bedeutet, dass Großbritannien künftig international eine größere Rolle spielen will.

Auch ihre Minister suchen nach Hinweisen. Außenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) traf schon mit dem britischen Chefdiplomaten Boris Johnson zusammen. Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) wird am Sonnabend am Rande des G-20-Finanzministertreffens im chinesischen Chengdu mit seinen britischen Kollegen Philip Hammond zu Mittag essen. Ohnehin sind beide Regierungen in der Nato, den Vereinten Nationen oder dem Industriestaatenklub G 7 weiter eng verbunden, wie die Kanzlerin betont: Merkel und May werden sich also häufiger sehen – spätere Freundschaft nicht ausgeschlossen.