Ankara.

Die Ankündigung kam spät am Mittwochabend aber sie dürfte das Klima in der Türkei noch einmal verschärfen: Präsident Erdogan hat nach einer Sitzung mit dem Nationalen Sicherheitsrat den Ausnahmezustand ausgerufen. Nun kann Erdogan erst einmal fast unbeschränkt herrschen: Solange der auf zunächst drei Monate begrenzte Ausnahmezustand in der Türkei gilt, kann der Präsident weitgehend per Dekret regieren. Erdogan ist also so mächtig wie nie zuvor. Erdogan sagt zwar in der Nacht zum Donnerstag, der Ausnahmezustand sei „definitiv nicht gegen Rechte und Freiheiten“ gerichtet. Doch die rechtliche Lage erlaubt nun, Grundrechte einzuschränken oder sie sogar auszusetzen. Kein Bürger habe etwas zu befürchten, es gehe um den Schutz der Menschen, beteuert der Präsident. Möglich sind nach dem Gesetz zum Ausnahmezustand auch Personen- und Hauskontrollen, Ausgangssperren und Medienzensur. Die türkische Verfassung erlaubt einen Ausnahmezustand bei „weit verbreiteten Gewaltakten zur Zerstörung der freiheitlich-demokratischen Ordnung“ oder einem „gravierender Verfall der öffentlichen Ordnung“ sein. Das Parlament muss noch zustimmen.

Unterdessen gingen die „Säuberungen“ unvermindert weiter. Nachdem bereits am Dienstag 15.200 Lehrkräfte staatlicher Schulen entlassen wurden, 21.000 Lehrer privater Schulen ihre Lehrberechtigung verloren und die Hochschulbehörde die Abberufung von 1577 Universitätsrektoren und Dekanen anordnete, sind nun dem gesamten akademischen Personal Auslandsreisen untersagt worden. Damit soll offenbar verhindert werden, dass sich Regierungskritiker absetzen. Universitätsbedienstete, die sich derzeit im Ausland aufhalten, sollen zurückbeordert werden. Zudem will die Behörde alle Unimitarbeiter auf mögliche Verbindungen zur Bewegung des Erdogan-Gegners Fethullah Gülen überprüfen.

Erdogan beschuldigt den in den USA lebenden Prediger, den Putschversuch angezettelt zu haben. Die türkische Regierung bemüht sich jetzt um eine Auslieferung Gülens. Der Geistliche soll wegen Gründung einer „terroristischen Vereinigung“ und Hochverrats vor Gericht gestellt werden. Unter dem Strich sind seit dem Putschversuch bereits fast 60.000 Menschen in der Türkei festgenommen oder ihrer Ämter enthoben worden.

Bundeskanzlerin Angela Merkel ist nach eigenen Worten wegen der Entwicklung in großer Sorge. Es gebe sehr deutliche Kritik an dem, was derzeit in der Türkei stattfinde, sagte sie am Mittwochabend in Berlin. Man werde mit großer Sorge die weitere Entwicklung beobachten, sagte Merkel mit Blick auf die Maßnahmen der türkischen Regierung. Das Flüchtlingsabkommen zwischen der EU und der Türkei ist ihrer Ansicht nach nicht gefährdet: „Ich habe bisher keinerlei Anzeichen, dass die Türkei nicht zu den Verpflichtungen steht.“

„Säuberungen“ könnten zu neuer Flüchtlingswelle führen

Die Menschenrechtsorganisation Pro Asyl erwartet, dass die „Säuberungen“ zu einer Fluchtwelle führen können. „Wenn sich die Lage weiter verschlechtert und die Hexenjagd gegen jegliche Opposition in der Türkei weitergeht, dann wird es eine Fluchtbewegung Richtung Europa geben“, sagte der Vizechef von Pro Asyl, Bernd Mesovic, der „Neuen Osnabrücker Zeitung“. Deutschland könnte davon besonders betroffen sein, weil es hier schon eine große türkische Gemeinde gibt.

Erstmals seit dem Putschversuch haben die türkischen Streitkräfte wieder Luftangriffe auf mutmaßliche Stellungen der verbotenen kurdischen Arbeiterpartei PKK im Nordirak geflogen. Dabei seien „20 Terroristen neu­tralisiert“ worden, meldete die staatliche Nachrichtenagentur Anadolu am Mittwoch. Auf dem südtürkischen Luftwaffenstützpunkt Incirlik normalisiert sich der Betrieb wieder, nachdem die Basis zwei Tage lang gesperrt war. Von Incirlik fliegt die US-Air-Force Angriffe auf die IS-Terrormiliz, auch eine Bundeswehreinheit ist dort stationiert.

Fachleute warnen, dass die „Säuberungen“ im Militär und im Sicherheitsapparat das Land im Kampf gegen den Terrorismus schwächen könnten. Bereits Ende 2013 hatte Erdogan nach den damals gegen ihn aufgekommenen Korruptionsvorwürfen Tausende Polizisten suspendieren lassen. Seit dem Wochenende wurde etwa ein Drittel der Generalität der türkischen Streitkräfte abgesetzt.