Berlin/Ankara.

Für die türkische Regierung stehen die Schuldigen fest: Anführer der Putschisten war der Ex-Luftwaffenchef Akin Öztürk. Gestern soll er gestanden haben. Bereits am Wochenende war er festgenommen worden. Neben Öztürk wurden bislang rund 6000 Soldaten inhaftiert, darunter über 100 Admiräle und Generäle. Als Hintermann des Putschversuchs sieht Staatspräsident Recep Erdogan den in den USA lebenden Prediger Fethullah Gülen. Doch an der Darstellung der türkischen Regierung gibt es weiter Zweifel. Zu offensichtlich ist der Präsident der Profiteur des Putschversuches – und bei der Aktion gab es auffallend viele Ungereimtheiten. Die türkische Regierung wies die Spekulationen empört zurück. Drei Theorien kursieren dennoch:

Erdogan als Strippenzieher:
Dass der Präsident selbst hinter dem Putsch steht, um einen Vorwand für die Erweiterung seiner Macht zu haben, hat als einer der ersten sein Erzfeind Gülen aus dem US-Exil erklärt. Der Putsch sei merkwürdig verlaufen, die Führung nicht gleich ausgeschaltet worden – und der Präsident habe ja selbst von einer Gelegenheit zur Säuberung gesprochen. Und die „Säuberungswelle“ war offenkundig vorbereitet. 8777 Beamte sind schon ihrer Posten enthoben worden, darunter 30 Gouverneure. Bereits am Wochenende waren rund 6000 Menschen festgenommen worden. Schon am Sonnabend wurden 2745 Richter und Staatsanwälte suspendiert.

Dennoch spricht viel gegen den Verdacht: Welchen Vorteil die teilnehmenden Offiziere von einer solchen Verschwörung gehabt hätten, ist fraglich. Für Recep Tayyip Erdogan wäre das Risiko groß gewesen und der Blutzoll auch für einen skrupellosen Machtpolitiker wohl zu hoch.

Die Putschisten waren gewarnt:
Variante Nummer zwei ist auch in der Türkei, in der Verschwörungstheorien schon immer Konjunktur hatten, populär. Danach hatten die Putschisten Kenntnis von einem Putsch von oben – einer großen Säuberungswelle, die noch vor der Sitzung des Hohen Militärrats Ende August erfolgen sollte. Erdogan habe unter anderem Offiziere, die dem islamischen Prediger Gülen nahestehen sollen, entlassen wollen. Über die angeblichen Pläne hatten Anfang vergangener Woche türkische Zeitungen berichtet. Die Eile würde immerhin die eklatanten Schwächen des Putsches erklären.


Erdogan war gewarnt
: Nach dieser Theorie haben türkische Nachrichtendienste von den Putschplänen in den Streitkräften rechtzeitig Kenntnis erhalten – und ließen die Aktion kontrolliert laufen. Als ein Indiz dafür wird genannt, dass die Polizei schon vor dem Putsch ihre Sicherheitsvorkehrungen sichtbar erhöht hatte – oder Erdogan unbehelligt aus dem Urlaub zurückkehren konnte.