Berlin.

Die Tat von Nizza ist ein Szenario, vor dem sich auch deutsche Sicherheitsbehörden seit Jahren sorgen: Ein Angreifer jagt mit einem Lastwagen in eine Menschenmenge – während eines Stadtfests oder einer Parade. Ein Einzeltäter braucht dafür keine spezielle Ausbildung, er muss sich keine Waffen beschaffen, sondern nur ein Fahrzeug mieten. Und wer keine Spuren hinterlässt auf der illegalen Suche nach Maschinenpistolen, der bleibt unter dem Radarschirm von Polizei und Verfassungsschutz. Wer nicht ausreist in ein Terrorcamp und sich ausbilden lässt, kommt in keine Passkontrolle.

Jetzt bleibt die Frage: Lässt sich ein solcher Attentäter durch Sicherheitsmaßnahmen vor Ort stoppen? Wer mit Polizisten, Chefs von Sicherheitsfirmen und Wissenschaftlern spricht, hört meist einen Satz: Risiken lassen sich minimieren. Aber nicht ganz abschalten.

Eine Antwort der Polizei auf Anschläge der vergangenen Monate ist: Aufrüstung. Als am Wochenende in Köln das Feuerwerkfest „Kölner Lichter“ stattfand, hatte die Polizei ihre Maßnahmen verschärft. Brücken über den Rhein waren mit gepanzerten Fahrzeugen abgeriegelt, zusätzliche Kameras auf dem Platz postiert, mit Flutlicht ausgeleuchtet. Eine Nachfrage dieser Redaktion bei den Innenbehörden zeigt: Die Landesregierungen kaufen Sturmgewehre, spezielle Visiervorrichtungen und Panzerfahrzeuge für ihre Polizei. Hamburg investiert 600.000 Euro in 130 Sturmgewehre und gibt 300.000 Euro für Maschinenpistolen aus. Niedersachsen investiert 2,4 Millionen Euro in neue Ausrüstung, Bayern will rund 30 Millionen Euro für neue Einsatzpistolen ausgeben.

Nach Nizza wird die Debatte auch in Brasilien neu geführt, wo bald Olympia beginnt. Das südamerikanische Land will durch schärfere Personenkontrollen, Barrikaden und Verkehrsbeschränkungen die Sicherheit erhöhen. München investierte zuletzt drei Millionen Euro in automatische Poller rund um die Theresienwiese, wo das Oktoberfest stattfindet. Die Poller können auch Lastwagen aufhalten. Innenminister Joachim Herrmann sagte, das Durchbrechen von Sperren mit Lkws gehöre schon seit Jahren zu denkbaren Anschlagsszenarien, gegen die man sich gewappnet habe.

Vor vielen Großveranstaltungen wie dem Oktoberfest erstellt die Landespolizei gemeinsam mit dem Ausrichter, dem Verfassungsschutz, der Feuerwehr und dem Ordnungsamt „Gefährdungslagen“. Darin analysieren die Behörden das Gelände, die Rettungs- und Zufahrtswege, aber auch die Programmpunkte. Daraufhin teilen Polizei und Sicherheitsdienste den Einsatz auf. Auch Firmen, die Essen oder Bühnen liefern, werden im Vorfeld überprüft – aber nicht einzelne Lkw-Fahrer, es sei denn, ein Verdacht liegt vor. In Ländern wie Nordrhein-Westfalen sind diese Analysen seit der Love-Parade-Katastrophe 2010 Pflicht.

Experten warnen: Einfach aufrüsten bringt nichts

Doch sowohl Tätertypen und Anschlagsmuster wandeln sich ständig. „Das macht die Arbeit der Polizei so kompliziert“, sagt Jörg Radek, Vize-Vorsitzender der Gewerkschaft der Polizei (GdP), dieser Redaktion. Beim Angriff auf die Satirezeitschrift „Charlie Hebdo“ agierten Terroristen in einer kleinen Gruppe, aber schwer bewaffnet. Beim Anschlag in Paris im November 2015 schlug ein ganzes Team von Terroristen zu, zeitgleich und an verschiedenen Orten, teilweise waren sie in Ausbildungslagern des „Islamischen Staates“. Nun griff in Nizza ein Einzeltäter im Stil eines Amokläufers an. Radek: „Ein Aufrüsten an Sperren, Kontrollen und Überwachung kann nicht die Antwort auf den Terror sein.“ Natürlich könnte die Polizei jedes Stadtfest zum Hochsicherheitstrakt machen. „Aber das hätte keine Akzeptanz bei den Besuchern.“

Das sagt auch Polizeiforscher Rafael Behr. „Ich fürchte, die Polizei wird auch nach Nizza so tun, als könne sie Terrorismus mit militärischen oder militärähnlichen Mitteln aufhalten.“ Das sei verständlich, jedoch „unwirksam“.