Berlin.

Die Seite in dem Magazin ist fast wie eine Anzeige eines Autoherstellers gestaltet. Auf dem Bild zu sehen ist der riesige Pickup-Truck eines amerikanischen Herstellers, aus dem Himmel blitzt es. Die Zeile über dem Foto lautet: „Die ultimative Mähmaschine“. Was damit gemeint ist, steht im Text zum Bild: „Die Idee ist, einen Pickup als Mähmaschine zu nutzen“, heißt es dort. „Nicht, um Rasen zu mähen, sondern um die Feinde Allahs niederzumähen.“ Wie das funktioniert? „Ideal ist eine Stelle, wo es möglichst viele Menschen und keine Autos gibt“. Eine simple Idee, die „nicht viel Vorbereitung“ brauche.

Erschienen ist diese Anleitung zum „persönlichen Dschihad“ im Islamistenmagazin „Inspire“ im Jahr 2010. Seither hat die Terrormiliz IS ihre Anhänger immer wieder dazu aufgerufen, auch Autos als Waffen zu nutzen. In den vergangenen Jahren gab es tatsächlich auffallend häufig Attentate mit Fahrzeugen. Noch nie aber kamen dabei so viele Menschen ums Leben wie jetzt in Nizza. In den meisten Fällen gab es einen islamistischen Hintergrund, aber nicht immer.

Vor allem in Israel nutzten palästinensische Attentäter immer wieder Lieferwagen, Bagger oder Autos, um Menschen zu töten. In Frankreich gab es im Dezember 2014 in Nantes und Dijon zwei Fälle, bei denen jeweils ein Mann in eine Menschengruppe fuhr. Zumindest in Dijon soll der Täter „Allah ist groß“ gerufen haben. Ähnliches geschah in Großbritannien und Kanada. Aber auch das gab es: 2009 fuhr ein Mann in Apeldoorn in den Niederlanden in eine Menschenmenge, in der Mitglieder der königlichen Familie waren. Der Mann hatte persönliche Probleme.

Auch wenn einige Experten es gestern noch für denkbar hielten, dass die Tat von Nizza persönlich motiviert war: Sie passt zu den bekannten Handlungsanweisungen islamistischer Propaganda. Danach sollen die Attentäter mit möglichst simplen Mitteln und ganz ohne große Planung möglichst viel Leid anrichten und Schrecken verbreiten. Fahrzeuge eignen sich dazu, auch Küchenmesser oder Hackebeile – alles Gegenstände, die keine originären Waffen sind. Sie sind leicht und unauffällig zu beschaffen und fast überall einsetzbar.

Fachleute sprechen in diesem Zusammenhang von „Low-Profile-Anschlägen“. Verübt werden sie von Einzeltätern oder Kleinstgruppen, sogenannten einsamen Wölfen oder Graswurzelterroristen. Sie handeln ohne Auftrag einer Terrororganisation und entscheiden sich offenbar spontan, einen Anschlag zu verüben. Das Bundeskriminalamt warnte vor der Europameisterschaft vor „irrational handelnden, fanatisierten Einzeltätern“. Sie könnten sich symbolträchtige und „weiche“ Ziele suchen, also Menschenmengen. Eine Beschreibung, die auch auf die Feier zum französischen Nationalfeiertag in Nizza passt.

Verhindern lassen sich solche Taten kaum. Zwar ist es weltweit inzwischen Standard, Botschaften und Regierungsgebäude mit massiven Stahlpollern oder Betonsperren zu schützen. Aber in einer Situation wie in Nizza, wo Menschen auf einer Uferpromenade feiern, kommt diese Strategie an ihr Ende. „Eine Veranstaltung auf einer Straße vor einem solchen Anschlag zu schützen, ist technisch nicht vorstellbar“, sagt Rainer Wendt, der Vorsitzende der Deutschen Polizeigewerkschaft. „Stellen Sie sich vor, wie die Menschen auf der Fanmeile vor dem Brandenburger Tor zwischen großen Betonklötzen eingepfercht sind“, sagt Wendt. „Damit würde man gleich Angst und Schrecken verbreiten, und genau das wollen Terroristen ja.“ Der Polizeiexperte meint: Gründliche Gefährdungsanalysen im Vorfeld seien das bisher beste Mittel, um in einer freien Gesellschaft Anschläge zu verhindern.