Hamburg. Flüchtlingskrise und EU-Arbeitsmigranten bescheren Deutschland einen Rekord: 2,14 Millionen Migranten

Deutschland ist für viele Menschen ein Traumziel – mehr als 2,1 Millionen Menschen sind 2015 eingewandert, gut die Hälfte davon kam als Flüchtlinge. So das Bundesamt für Statistik am Donnerstag. Nie strebten mehr Migranten ins Land. Deutschland ist aber zugleich ein Ort der enttäuschten Hoffnungen, ein Auswanderungsland: Im gleichen Zeitraum sind knapp eine Millionen Menschen ins Ausland gezogen. Die nach Nationalität stärkste Gruppe der Emigranten waren Deutsche.

Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) nannte die Migration zu Recht „ein Rendezvous mit der Globalisierung“. Sie ist schwer zu steuern und wird durch die Verwerfungen in Afrika, dem Nahen und Mittleren Osten tendenziell noch zunehmen. 60 Millionen Menschen sind weltweit auf der Flucht, zugleich lassen soziale Netzwerke und allseits verfügbare Mobiltelefone die Welt schrumpfen.

Zuwanderung ist gerade in einer offenen Gesellschaft nur schwer zu steuern; wer das Gegenteil behauptet, verbreitet Illusionen. Und doch verwundert das naive Laissez-faire der Deutschen in der Migrationspolitik. Die offenen Grenzen der Kanzlerin, die erst Österreich Anfang März eigenmächtig schloss, waren eine Kapitulation der Realpolitik. Allerdings eine mit breitem Rückhalt: Ob in der Merkel-Union oder bei den Grünen, in der SPD oder bei der Linkspartei, es dominiert die Gesinnungs- die Verantwortungsethik, regiert das Prinzip Hoffnung statt Realitätssinn.

Seit den ersten Anwerbeabkommen zu Zeiten des Wirtschaftswunders ist Deutschland ein Einwanderungsland, doch ein modernes Einwanderungsgesetz fehlt bis heute – übrigens vor allem wegen des Widerstands der Union. Migration aber vor allem über das Asylrecht zu regeln, überdehnt das Gesetz und ist für die Einwanderer wie das Land gleichermaßen fatal, weil es auf beiden Seiten Enttäuschungen provoziert. Sie zwingt Arbeitssuchende in aufwendige Verfahren, die nach vielen Monaten oft mir einem negativen Bescheid enden. Was für eine Verschwendung von Zeit, Geld und Ressourcen.

Deutschland muss, wie andere klassische Einwanderungsländer auch, qualifizierte Zuwanderer nach seinen Bedürfnissen aussuchen. Darüber hinaus muss das Land Flüchtlingen großzügig helfen, aber ohne sich und die Bürger zu überfordern. Das gelingt inzwischen besser, aber lange noch nicht gut. Die große Koalition etwa verweigert sich weiterhin hartnäckig einer Definition von Obergrenzen. Ob für Bargeld, bei Schadstoffen oder gar dem Weltklima, Obergrenzen sind Kern der Politik, nur bei der Zuwanderung gelten sie als Teufelszeug. Dabei ist Planung der erste Schritt zur Inte­gration.

Diese lässt zu wünschen übrig, gerade bei den „vergessenen Migranten“. Die Zahlen des Statistischen Bundesamt zeigen eindrucksvoll, dass immer mehr Italiener, Spanier oder Rumänen ihr Glück in Deutschland suchen. Sie arbeiten hier oft hart in prekären Jobs und weit unter ihren Qualifikationen. Sie vermissen die Willkommenskultur, bleiben ohne Hilfe und müssen sogar ihre Deutschkurse selbst bezahlen. Es wird Zeit, sich um diese Zuwanderer intensiver zu kümmern.

Und noch eine weitere Botschaft müsste die Regierung alarmieren – in Zeiten der Hochkonjunktur wandern mehr Deutsche aus, als zurückkehren. Die Schweiz, Norwegen, Neuseeland oder die USA frohlocken, der Braindrain geht weiter. Gerade diese flexiblen Leistungsträger aber hat die Große Koalition völlig von ihren Radarschirmen verloren.