Berlin.

Die Ängste der Deutschen sind innerhalb eines Jahres so stark gestiegen wie nie zuvor. Am meisten fürchten sich die Menschen vor Terrorismus und politischem Extremismus. Die jüngsten Anschläge in Istanbul und Paris haben ihre Spuren hinterlassen. Auch der Zuzug von Ausländern ängstigt eine breite Mehrheit – und vor allem die Einschätzung, dass sowohl Bürger, Behörden und Politiker mit der Lösung der Flüchtlingsprobleme überfordert sind.

Dies ist das Ergebnis einer repräsentativen Studie der Gesellschaft für Konsumforschung (GfK) im Auftrag der Versicherung R+V, für die im Frühjahr 2400 Menschen über 14 Jahren befragt wurden. Die Ängste vor Naturkatastrophen oder Wirtschaftssorgen, die jahrelang auf den Spitzenplätzen der Liste standen, sind zwar weiter stark vorhanden, wurden aber durch die politischen Ängste auf die hinteren Plätze verdrängt.

„Die Attentate der Terrormiliz IS in Europa schüren die Angst vor terroristischen Anschlägen massiv“, sagte Brigitte Römstedt, Leiterin des R+V-Infocenters, das die Studie seit 25 Jahren herausgibt. „Nie zuvor sind die Ängste in unseren Studien innerhalb eines Jahres so drastisch in die Höhe geschnellt wie 2016.“ Erstmals liegen zwölf der 20 abgefragten Ängste über 50 Prozent – im Vorjahr erreichten diese Werte nur vier Themen.

Sind die Deutschen besonders ängstlich? Zeigt sich hier die im Ausland oft beschworene „German Angst“? „Keineswegs“, urteilte der Politikprofessor Manfred Schmidt von der Universität Heidelberg. „Die Ängste haben alle größtenteils reale Anlässe.“ Die Bewertung zeige vielmehr, „dass die Befragten gut informiert sind und ein außerordentlich gutes Gespür für die großen Probleme und Veränderungen haben.“ Allerdings hätten die Deutschen seit jeher ein großes Sicherheitsbedürfnis. „Die Deutschen streben nach großer Sicherheit im sozialen, wirtschaftlichen, innen- und außenpolitischen Bereich“, meinte Schmidt. Dabei suchen sie Lösungen nicht primär bei sich selbst, Bekannten oder Freunden, sondern erwarten diese vom Staat und der Wirtschaft.

Obwohl Deutschland bislang von einem größeren Terroranschlag verschont geblieben ist, grassiert die Angst. Grund dafür seien die jüngsten Attentate von Paris, Brüssel oder Istanbul, erläuterte Schmidt: „Die Anschläge rücken näher. Es ist, als ob sie vor der Haustüre passieren.“ Gleichzeitig gebe es mehr Terroranschläge islamistischer Gruppen mit immer mehr Toten. Verstärkt werde die Angst durch die intensive Berichterstattung darüber, so Schmidt. Als weiterer Angsttreiber kämen die „begründeten Warnungen durch die Sicherheitsbehörden“ hinzu. „2016 ist das Jahr der Ängste.“

Angst bereitet den Deutschen auch die Überforderung ihrer Politiker. 65 Prozent meinen, sie seien den Probleme nicht gewachsen. 44 Prozent geben ihnen die Schulnote 5 oder 6, nur sechs Prozent verteilen die Noten 1 und 2. „Diese Bewertung ist vernichtend“, meint Schmidt. „Die Bürger registrieren einen Kontrollverlust der Politiker gerade in der Flüchtlingsfrage.“

Große Sorgen machen sich die Deutschen um die Wirtschaft. Angefeuert durch die immer noch andauernde Finanzmarktkrise und die damit verbundene Euro-Schuldenkrise befürchtet die Mehrheit, dass für den Steuerzahler Kosten durch die Schuldenkrise der EU-Staaten entstehen werden. „Auch diese Angst ist nachvollziehbar“, verteidigte Schmidt die Befürchtungen angesichts hoher Milliarden-Bürgschaften von Deutschland als durchaus realistisch. „Das spricht für das Urteilsvermögen der Befragten.“ Um ein Auseinanderbrechen des Euro sorgt sich dagegen nur knapp jeder Zweite. Die Mehrheit fürchtet jedoch steigende Lebenshaltungskosten. Obwohl immer mehr Menschen eine höhere Arbeitslosigkeit in Deutschland erwarten, machen sich um einen möglichen Verlust ihres eigenen Jobs nur 38 Prozent Gedanken.

Furcht vor Naturkatastrophen hat jeder zweite Deutsche. Allerdings belastet dieses Thema vor allem Westdeutsche mit 51 Prozent, während im Osten dieses nur 41 Prozent ängstigt. Eine Ursache dafür ist, so Römstedt, dass „grüne Themen“ in der Bundesrepublik eine längere Tradition haben.

Mit der alternden Gesellschaft wachsen zunehmend auch die Sorgen um die Gesundheit. Die Mehrheit der Bürger hat Angst davor, im Alter ein Pflegefall zu werden oder schwer zu erkranken. Viele fürchten, mit einem sinkenden Lebensstandard klarkommen zu müssen und zu vereinsamen.

Generell gilt, dass Frauen ängstlicher sind als Männer. Auch gibt es deutliche Unterschiede zwischen den Bundesländern. Am unerschrockensten zeigen sich die Berliner: Nur 40 Prozent der Hauptstädter äußern große Angst vor der Zukunft. Unter den Hamburgern und Schleswig-Holsteinern liegt die Quote bei 44 Prozent – und damit unter dem Durchschnitt von 49 Prozent. Am ängstlichsten zeigen sich mit 59 Prozent die Hessen, gefolgt von Sachsen-Anhalt und Nordrhein-Westfalen. Auffällig ist, dass sich in keinem Bundesland die Angst verringerte.

Ein Lichtblick zum Ende: Um ihre Beziehungen sorgen sich die Deutschen mit Abstand am wenigsten. Die Zweisamkeit bleibt Schlusslicht der Tabelle: Nur jeder Fünfte hat Angst, dass seine Partnerschaft zerbrechen wird.