Washington.

Mit rund 100 besuchten Ländern in acht Jahren gehört Barack Obama zu den reiselustigsten Präsidenten in der Geschichte Amerikas. Vorzeitig zurückgekehrt aus dem Ausland ist der Commander-in-Chief nach Protokollen des Weißes Hauses bisher noch nie. Bis zu den Polizistenmorden von Dallas und den Tragödien, die ihnen vorausgingen. Anstatt auf seiner Spanienvisite in Sevilla heute den Giraldaturm der Kathedrale und andere Sehenswürdigkeiten zu besuchen, kehrte Obama am Sonntagabend nach Washington zurück. Ernsthaft besorgt um den nationalen Frieden, in Gedanken schon auf der Weiterreise nach Texas.

Seit der Armeeveteran Micah Johnson (25) dort in einem blutigen Alleingang offenbar aus Hass auf Weiße fünf Polizisten hinterrücks erschossen hat, als Rache für unverhältnismäßige, tödliche Polizeiübergriffe auf Schwarze in Baton Rouge/Louisiana und St. Paul/Minnesota, pendeln die USA zwischen Schock und Wutwellen.

In vielen Städten zwischen New York und San Francisco gingen vor allem Afroamerikaner, die der Bewegung „Black Lives Matter“ (Schwarzes Leben zählt) nahestehen, am Wochenende auf die Straßen, blockierten Autobahnen und machten ihrem Gefühl der Ohnmacht lautstark Luft. Der überwiegende Teil der Proteste verlief friedlich. Aber es kam mehr als einmal auch zu Stein- und Flaschenwürfen auf die Polizei, die mit Pfefferspray, Tränengas, Schlagstöcken und weit mehr als 100 Festnahmen antwortete. In Georgia lockte ein 22-Jähriger einen Polizisten durch einen fingierten Notruf in seine Wohnung und schoss auf ihn. Ähnliche Vergeltungsaktionen ereigneten sich in Missouri und Tennessee. Hochrangige Polizeiführer nannten Medienberichte, die Amerika im „Bürgerkrieg“ wähnen, trotzdem „übertrieben und unverantwortlich“.

Johnson hatte die Tat akribisch vorbereitet

Obama wird am Dienstag in Dallas erwartet. Die Stimmung im Land ist aufgeladen. Negativer Höhepunkt: Der ehemalige Kongressabgeordnete Joe Walsh, ein Republikaner, hatte per Twitter diese Drohung in die Welt gesetzt: „Das ist jetzt Krieg. Pass auf, Obama. Passt auf, ihr Armleuchter von ‚Black Lives Matter‘. Das wahre Amerika ist euch auf den Fersen.“

Unterdessen debattierten Juristen weiter kontrovers über die Legalität des finalen Rettungsschusses via Bombe, mit der Dallas’ Polizeichef David Brown den Heckenschützen außer Gefecht setzen ließ. Ein Novum in der US-Polizeigeschichte. Als sich Johnson im 14. Stock eines Gebäudes in der Innenstadt von Dallas verschanzte und alle Bemühungen, ihn zur Aufgabe zu bewegen, gescheitert waren, ließ Brown auf einem Spezialroboter eine Ladung des Plastiksprengstoffs C-4 deponieren. „Es ging nicht anders“, sagte der in Dallas für seine transparente Polizeiarbeit geschätzte Brown, „sonst wären weitere Officer in Lebensgefahr geraten.“ Weil erwartet wird, dass die Technik noch häufiger zur Gefahrenabwehr im Innern zur Anwendung kommt, fordern Menschenrechtler ein „juristisch wasserdichtes Regelwerk“.

Der Täter, der seine Mordserie in Dallas nicht weit von der Stelle aus begann, an der Lee Harvey Oswald 1963 Präsident John F. Kennedy erschoss, gibt den Ermittlern mit jedem Ermittlungserfolg etwas weniger Rätsel auf. Micah Johnson, aufgewachsen in Mesquite, 30 Kilometer östlich von Dallas, ging nach der Highschool zum Militär. In einer Ingenieursbrigade war er als Schreiner und Maurer tätig und – ohne Kampfeinsatzbeteiligung – von November 2013 bis Juli 2014 auf dem US-Stützpunkt Baghram in Afghanistan. Wegen des Vorwurfs der sexuellen Belästigung einer Soldatin wurde er vorzeitig nach Hause geschickt und schied 2015 aus der Armeereserve aus.

Johnson hatte sich zuletzt radikalen Schwarzenorganisationen wie der „New Black Panther Party“ zugewandt, die die Polizei in Amerika pauschal als „Unterdrückungsinstrument gegen Schwarze“ begreift. Einträge und Fotos in sozialen Netzwerken dokumentieren, dass der im Haus seiner Mutter, einer Kirchenangestellten, lebende Single kurz vor dem Amoklauf sogar Solidarität mit der „African American Defense League“ übte. Deren Anführer Mauricelm-Lei Millere hatte nach den tödlichen Polizeiaktionen gegen die Afroamerikaner Alton Sterling und Philando Castile in Louisiana und Minnesota auf dem Internetkanal Instagram zum Mord an weißen Polizisten aufgerufen.

Johnson hatte die Tat akribisch vorbereitet. Im seinem Haus fand die Polizei massenhaft Munition, Waffen, schusssichere Westen, Substanzen für Sprengstoff und Lehrmaterial über militärische Angriffstaktiken. Darunter ein Tagebuch, in dem erklärt wird, wie man sich als Schütze schnell bewegt und zeitgleich feuert. „Shoot and Move“ nennt das die Armee. Johnson bediente sich dieser Technik so gekonnt, das die Polizei in Dallas stundenlang von mehreren Heckenschützen ausging. Micah Johnson trainierte bis zuletzt in einem speziellen Studio für Kampfsport und Waffenkunst. Nachbarn berichteten der Lokalzeitung „Dallas Morning News“, dass er im Garten seines Hauses militärisch anmutende Übungen absolvierte. Dallas’ Polizeichef David Brown sagte im US-Fernsehen, dass der Ex-Soldat eine noch weitaus größere Attacke geplant habe. Tagebuchaufzeichnungen und Sprengstofffunde ließen keinen anderen Schluss zu.