Warschau.

„Was die Briten können, kann außer den USA sonst keiner“, sagt Douglas Lute, Washingtons Botschafter bei der Nato in Brüssel. Und zählt auf: Das Vereinigte Königreich ist eine der wichtigsten Säulen der schnellen Eingreiftruppe. 3000 Soldaten will London dafür 2017 abstellen. Als „Rahmennation“ ist Großbritannien Befehlshaber und Haupttruppensteller eines Kampfbataillons in Estland, eines von vieren, mit denen das Militärbündnis gegenüber Russland verstärkte Wehrhaftigkeit zeigen will. Die Briten sind weiterhin beim gemeinsamen Afghanistan-Einsatz dabei. Sie erfüllen als eines von nur fünf Bündnismitgliedern die Richtwerte für die Rüstungsaufwendungen (mindestens zwei Prozent der Wirtschaftsleistung, davon ein Fünftel Investitionen in Waffensysteme und Gerät). Außerdem sitzen sie als Atommacht als ständiges Mitglied im Sicherheitsrat der Vereinigten Nationen, ausgestattet mit Vetorecht. London ist wichtig, und das soll auch so bleiben – trotz Brexit.

Die Briten sind zweitstärkste Kraft im Bündnis

„Auch wenn der Brexit das Verhältnis des Vereinigten Königreichs mit der EU verändert – an der führende Rolle Großbritanniens in der Nato ändert es nichts“, versichert Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg auf dem Gipfel der Allianz in Warschau. Es ist die erste von ungezählten Bekräftigungen, die an diesem Tag folgen. Die dramatische Entwicklung der EU ist auch für die Nato das Sorgenthema Nummer eins. Es prägt Vorspiel und Auftakt des Warschauer Bündnisgipfels. Den Blues, der die Briten und ihre EU-Partner nach der fatalen Volksabstimmung heimsucht, kann sich die Allianz nicht leisten. Und da sind sich alle einig: Je mehr die Briten aus der EU ausscheiden, desto mehr sollen sie in der Nato bleiben.

So sehen es auch die Verantwortlichen in London: „Wir kehren der Welt nicht den Rücken zu“, beteuert Verteidigungsminister Michael Fallon. „Im Gegenteil – wir engagieren uns noch stärker in der Nato, um den Rückzug aus der Europäischen Union wettzumachen.“ Und Premier David Cameron erklärt, sein Land sei „stolz auf seine Führungsrolle und die Stationierung von Truppen in ganz Osteuropa“.

Die Briten sind die zweitstärkste Kraft im Bündnis, und „sie werden stark und in der Nato engagiert bleiben“, versichert Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg. Dieselbe Botschaft ist wenig später aus dem Munde des Mannes zu hören, der die Bündnismacht Nummer eins führt und in dieser Funktion vermutlich zum letzten Mal in Europa auftritt. Es seien schwierige Zeiten für die Europäische Union, sagt US-Präsident Barack Obama. Die europäische Integration sei „eine der größten Errungenschaften der Moderne“ und könne auch in Zukunft auf vorbehaltlose Unterstützung der USA zählen. Doch der Brexit-Entschluss habe Zweifel gesät, wie es denn nun weitergehen solle mit dem gewaltigen Unternehmen. „Leider hat das einige zur Vorstellung verleitet, jetzt werde das ganze Gebäude der Sicherheit und des Wohlergehens des Westens zerbröckeln.“ Davon könne keine Rede sein, sagt der Präsident – was freilich mindestens so sehr Aufforderung ist wie Feststellung.

Obama hat das Thema Brexit beim britischen Premier Cameron, bei Kanzlerin Merkel und bei den EU-Oberen Juncker (Kommission) und Tusk (Europäischer Rat) angesprochen. Danach ist er „absolut zuversichtlich, dass Großbritannien und die EU pragmatisch und kooperativ dafür sorgen werden, dass der Übergang glatt abläuft“.

Da dürfen sich jene angesprochen fühlen, die in Versuchung sind, die Austrittsverhandlungen mit London herb zu gestalten, damit der Brexit auf dem Kontinent keine Nachahmer finde. Zu den Verdächtigen gehört Juncker, der mit Tusk vor dem Nato-Gipfel zu einer separaten Dreierrunde mit Obama zusammentrifft. Brüssel werde die Verhandlungen mit London „nicht in feindseliger Stimmung“ führen, versichert der Kommissionschef.

Auch Tusk sorgt sich wegen der „sehr ernsten geopolitischen Folgen des Brexit“. Dagegen setzt er „eine starke Botschaft an die ganze Welt: Der Brexit ist ein Vorfall, nicht der Beginn eines Prozesses!“ So wird das Gespenst namens Brexit an diesem Tag vorwiegend durch vollmundige Bekenntnisse gebannt. Sie laden einen Vorgang zusätzlich mit Bedeutung auf, der lange vor dem britischen Referendum auf der Warschauer Tagesordnung stand: die strategische Partnerschaft von EU und Nato. „Eine stärkere Nato und eine stärkere EU können zusammen für mehr Sicherheit in Europa und darüber hinaus sorgen“, heißt es in einer gemeinsamen Erklärung beider Organisationen. Konkrete Formen soll das schon bald im zentralen Mittelmeer annehmen, wo die Nato der EU helfen will, Schlepper und Waffenschmuggler aufzuspüren. Außerdem ist Verzahnung bei der Abwehr von Cyberattacken und anderen Formen neuartiger hybrider Kriegsführung geplant. Zudem wollen beide Seiten ihre militärischen Übungen besser aufeinander abstimmen.